Sachstand

Gruppenantrag „Zivile Nutzung der Kyritz-Ruppiner Heide“

(BT-Drs. 14/5876, 9.4.2001)

Winni Nachtwei, MdB Bündnis 90/Die Grünen,

Mitglied des Verteidigungsausschusses, 22.3.2002

 

Am 31.1.2002 verwies der Bundestag den Gruppenantrag „Zivile Nutzung der

Kyriz-Ruppiner Heide“ nach erster Lesung an die Ausschüsse Neue Bundesländer und Tourismus (mitberatend) und Verteidigung (federführend). Am 20. März wurde der Antrag im Ausschuss Neue Bundesländer und Verteidigungsausschuss „anberaten“. Die Ausschussabstimmungen erfolgen später.

 

Im Ausschuss Neue Bundesländer deutete sich eine Mehrheit für den Gruppenantrag an. Gewünscht wird eine Anhörung.

 

Im Verteidigungsausschuss begründete ich den Antrag ausführlich. (s.u.)

Sprecher von CDU/CSU und FDP wandten sich gegen den Antrag, SPD äußerte sich vorsichtig und andeutungsweise ablehnend (von den SPD-Mitgliedern des Ausschusses hat niemand den Antrag unterschrieben), die PDS war nicht anwesend)

 

Stellungnahmen aus anderen Fraktionen wiederholten vor allem das Argument der „gerechteren Lastenverteilung“, unterstellten den Antragstellern das St.-Florians-Prinzip und behaupteten, in der Region gebe es neben Ablehnung auch viel Zustimmung zur militärischen Nutzung der Heide. Zugestanden wurden Versäumnisse in der Informationspolitik. Das im Ausschuss Neue Bundesländer artikulierte Ansinnen einer Anhörung wurde überwiegend positiv aufgenommen.

Auf meine konkreten Argumente gingen weder Kollegen noch Ministerium ein.

Die Realität und Perspektive des sinkenden Bedarfs blieb zum wiederholten Male unwidersprochen. Dies betrachte ich als stillschweigende Zustimmung.

Die spezifischen Belastungen, Schwächen und Chancen der Region werden einfach nicht zur Kenntnis genommen, ebenso nicht die realistische Aussicht auf einen noch lange dauernden Rechtsstreit. Die juristischen „Kräfteverhältnisse“ werden ignoriert, die eigenen Durchsetzungschancen verkannt.

Angesichts der qualitativ schwachen Präsentation der Befürworter des Luft/Boden-Schießplatzes stellt sich verstärkt die Frage nach den tatsächlichen Motiven und Interessen.

Meiner Einschätzung nach spielen eine grundsätzliche Abwehrhaltung gegenüber einem befürchteten Dominoeffekt im Hinblick auf andere Truppenübungsplätze und allgemeine Besitzstandwahrung bzw. Vorsorgehaltung eine erhebliche Rolle. Über weitergehende Absichten  lässt sich nur spekulieren. Für Wittstock sind 1.700 fliegerische Einsätze/Jahr geplant. Angesichts der insgesamt ca. 2.200 Luft/Boden-Einsätze bundesweit im Jahr 2000 ergeben sich erhebliche Fragezeichen im Hinblick auf die angeblich angestrebte „gerechte Lastenverteilung“.

Die Aussetzung der Koalitionsregel des gemeinsamen Abstimmungsverhaltens scheint in diesem Fall keine Probleme zu bereiten. Der innerkoalitionäre Umgang ist sachlich.

 

Als nächsten Schritt streben wir eine gemeinsame Anhörung der betreffenden Ausschüsse möglichst bald nach der Osterpause an. Hierüber besteht Konsens mit den SPD-Kollegen Bahr (Mitinitiator des Antrags) und Palis (SPD-Berichterstatter im Verteidigungsausschuss) sowie den Obleuten im Ausschuss Neue Bundesländer. Die Obleute haben das zu verabreden. Danach muss möglichst bald die Beschlussfassung in Ausschüssen und Plenum erfolgen, wenn noch auf die Entscheidung des Ministeriums nach Abschluss des Anhörungsverfahrens Einfluss genommen werden soll.

 

Meine Stellungnahme im Verteidigungsausschuss

Anknüpfend an die in der ersten Fortschreibung des Truppenübungsplatzkonzeptes vom Februar 2002 genannten Ziele und Kriterien stellte ich klar:

Der für den Übungsbedarf der Bundeswehr notwendige Übungsraum müsse bereitgestellt werden; unvermeidliche Belastungen seien zu begrenzen und Unzumutbarkeiten zu vermeiden; dass die Rechmäßigkeit gewährleistet sein müsse, verstehe sich von selbst. Auf der parlamentarischen Beratungsebene sei das Sankt-Florians-Prinzip auszuschließen.

 

Zum militärischen Bedarf

Bisher kam die Luftwaffe offenkundig ohne Wittstock aus. Hinweise, dass darunter ihre Einsatzbereitschaft leide, sind uns nicht zu Ohren gekommen.

Seit Jahren nimmt zudem die Zahl der Übungseinsätze ab. Die Schere zwischen den maximalen Planzahlen laut Truppenübungsplatznutzungskonzept (7.200 Einsätze in Nordhorn, Siegenburg und Wittstock) und den realisierten Übungen (2.200 durch Alliierte und Bundesluftwaffe in 2000) geht immer mehr auseinander.

Das Bewaffnungskonzept für Kampfflugzeuge der Bundeswehr (Nov. 2001) macht deutlich, dass die bisherige ungelenkte, also nicht präzise Luft/Boden-Munition nicht mehr den Anforderungen im wahrscheinlichsten Aufgabenspektrum, aber auch der  Bündnisverteidigung entspricht Das vom Inspekteur der Luftwaffe verantwortete Konzept fordert die umfassende Modernisierung der Luft/Boden-Bewaffnung hin zu Präzisions- und Abstandswaffen, die ohne Annäherung oder Überfliegen des Ziels eingesetzt werden. Mit der Einführung dieser Bewaffnung würde der Bedarf an traditionellen Luft/Boden-Übungen weiter sinken. Für das nächste Jahrzehnt wird mit der Einführung unbemannter Kampflugzeuge gerechnet.

 

Zur Belastung der Bevölkerung

Die erheblichen Belastungen durch Nordhorn-Range sind mir durch Besuche vor Ort sehr wohl bekannt. Möglichkeiten einer weiteren Belastungsreduzierung müssen genutzt werden.

Die für die militärische Nutzung von Wittstock ins Feld geführte „gerechtere Lastenverteilung“ erscheint auf den ersten Blick plausibel – allerdings nicht mehr auf den zweiten.

Zu DDR-Zeiten hatte die Region unter dem extremen Übungsbetrieb der sowjetischen und Warschauer-Pakt-Luftwaffen zu leide. Mehr als 20.000 scharfe Luft/Boden-Einsätze wurden pro Jahr geflogen. Keine Gegend in Deutschland ist so gespickt mit Bomben und Raketenteilen wie das Zielgebiet um den „Wolfsberg“ auf dem ehemaligen Bombodrom.

Im Unterschied zu den Regionen um die bisherigen Übungsplätze ist die Region um die Kyritz-Ruppiner Heide ausgesprochen strukturschwach. Ihre Entwicklungschancen liegen in erster Linie im Tourismus.

Die Vorlage des Verteidigungsministeriums zur Anhörung der Anliegergemeinden vom September 2001 behauptet, es sei davon auszugehen, dass der Luft/Boden-Schießplatz keine relevanten Auswirkungen auf die Entwicklungen der Region im touristischen Bereich haben wird.“ Aus persönlicher Anschauung weiß ich, dass dem nicht so ist.

Die Jagdbomber sollen von Norden bis zu 300, ja 150 m tief in den Platz einfliegen. Dort liegt mit Sewekow und dem Nebelsee ein ausdrückliches Feriengebiet. Die jüngsten Stellungnahmen von Gemeinden aus der südöstlichen Müritzregion sind deshalb vollauf begründet und keineswegs Panikmache. Ein Luft/Boden-Schießplatz Wittstock würde  d i e  Entwicklungschance der Region blockieren!

 

Zur Akzeptanz

Der Kreistag nahm viermal gegen die militärische Nutzung der Heide Stellung. Nach den Anliegergemeinden unterstützt nun auch die Stadt Wittstock den Klageweg.

(Dass in diesem Zusammenhang  der örtliche  Standortälteste und Truppenübungsplatzkommandant öffentlich die Entscheidung der Stadtverordnetenversammlung rügte und mit „Liebesentzug“ seitens der Bundeswehr drohte, ist befremdlich und bedeutet eine klare Kompetenzüberschreitung.)

Möglicherweise beschreiten auch Gemeinden des südlichen Mecklenburg-Vorpommern, die bisher nicht angehört wurden, den Klageweg.

Die Bürgerinititive FREIe HEIDe ist die größte Bürgerinitiative in ganz Ostdeutschland. 40.000 Bürgerinnen und Bürger unterstützen ihr Anliegen mit ihrer Unterschrift gegenüber dem Bundestag. Eine Initiative für den Übungsplatz fand nur 500 Unterzeichner. (Indirekte Unterstützung erfährt die FREIe HEIDe  durch die Petition für den Erhalt des II. Bataillon des Luftwaffenausbildungsregiments 3 Bayreuth, die bis Januar von 25.000 Menschen unterschrieben wurde und sich gegen die Auflösung eines bewährten Standorts zugunsten einer neuen und teuren Garnison in Wittstock wendet.)

 

Zur Rechtslage

Im Rechtsstreit mit dem Bund um die kommunale Planungshoheit waren Anliegergemeinden insofern erfolgreich, als das Bundesverwaltungsgericht eine Anhörung vorschrieb.

Im Sommer wird mit dem nächsten BVerwGer-Urteil zu anderen Gemeinden gerechnet.

Der Ausgang des gesamten Rechtstreits ist sehr ungewiss. Höchstwahrscheinlich  wird er noch längere Zeit dauern. Das hätte aber Planungsunsicherheit für alle Seiten zur Folge.

 

Zusammengefasst: Der Verzicht auf den Luft/Boden-Schießplatz Wittstock würde

-         die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr nicht beeinträchtigen

-         erhebliche Kosten sparen

-         einen unabsehbar langen Rechtsstreit vermeiden

-         der Region nach Jahrzehnten militärischer Extrembelastung zivile Entwicklungsmöglichkeiten eröffnen, bei denen ihre Stärken zum Zuge kämen.