Presseerklärung
Stand: 04. Februar 2004
Informationen zu den Prozessen gegen den Bombenabwurfplatz Wittstock
AKTUELL: Entscheidung des OVG in den Beschwerdeverfahren in der ersten Jahreshälfte
2004 zu erwarten - VG Potsdam gibt auf unseren Antrag erstmals einem
Tourismusunternehmer Recht
Die folgenden Informationen zur Vorgeschichte und zum Hintergrund der Prozesse
gegen den Bombenabwurfplatz Wittstock sollen verdeutlichen, aus welchen Gründen
die betroffenen Menschen der Region und wir als ihre Prozessbevollmächtigten
keinen Anlass und keine Bereitschaft haben, die Inbetriebnahme des Bombodroms
durch die Bundeswehr hinzunehmen und weshalb wir daher entschlossen sind, dieses
Vorhaben der Bundeswehr mit allen rechtsstaatlichen Mitteln zu verhindern.
Die unerträglichen Lärmbelastungen der Tiefflüge, die vorhersehbare Ruinierung
der nach der Wende erfolgreich aufgebauten touristischen Einrichtungen, die
absehbare Schädigung der nach europäischem Recht geschützten Habitate und
Vogelschutzgebiete und insbesondere der autokratische und unzumutbare Umgang
des Militärs mit den Menschen dieser Region zeigen, dass ein Kompromiss
zwischen den Plänen der Bundeswehr und den legitimen Rechten der Betroffenen
ausgeschlossen ist.
1. Der Truppenübungs- und Bombenabwurfplatz in der Wittstock-Ruppiner Heide
wurde nach dem 2. Weltkrieg von den sowjetischen Streitkräften in einem Gebiet
angelegt, das wegen seiner landschaftlichen Schönheit bis zur deutschen
Spaltung weit über die Grenzen der Region hinaus bekannt war und insbesondere
von Berlinern als Naherholungsgebiet genutzt wurde. Nach 1949 haben die
sowjetischen Streitkräfte den militärischen übungsplatz sukzessive ausgebaut
bis er in den 80iger Jahre über 140 km2 umfasste. Es fanden Truppenübungen
statt sowie Bombenabwürfe durch tief fliegende Militärmaschinen. Das
„Stalin-Bombodrom“ war bei den Menschen der Region verhasst und die politischen
Verhältnisse ließen keinerlei Widerstand zu.
Nach der Wende fiel das Gelände aufgrund des Einigungsvertrages an den Bund und
wurde vom Bundesvermögensamt verwaltet. Die Bundeswehr hatte frühzeitig erklärt,
dass sie an der Fortsetzung einer militärischen Nutzung nicht interessiert ist;
das Gelände war also nach Abzug der sowjetischen Truppen im Jahre 1993 aufgrund
des Zwei-plus-Vier-Vertrages den ursprünglichen öffentlichen Eigentümern
(insbesondere den Gemeinden) zurückzugeben.
Ende 1993 erklärte die Bundeswehr jedoch überraschend, dass sie das Gelände
nunmehr doch militärisch nutzen wolle, und zwar als Truppenübungsplatz, als
Schießplatz sowie insbesondere als übungsplatz für Bombenabwürfe (durch
simulierte Bomben) von tief fliegenden Militärmaschinen. Wenn man die seither
zunehmende Empörung der Menschen vor Ort verstehen will, muss man wissen, dass
die Bundeswehr diesen Wortbruch dadurch vollzog, dass sie einige Tage vor
Weihnachten 1993 das inzwischen von den Gemeinden praktisch wieder übernommene,
benutzte und beplante Gelände einfach absperrte, Sperrschranken errichtete und
in großer Zahl Schilder aufstellte, die der Bevölkerung das Betreten des Geländes
unter Androhung von Waffengebrauch untersagte. Die Absperrungen gingen
teilweise weit über die Grenzen des seinerzeitigen „Stalin-Bombodroms“ hinaus.
In der Gemeinde Schweinrich z. B. wurde mehr als die Hälfte des Gemeindegebiets
bis an die Grenzen des Ortskerns abgesperrt.
Die Bürgermeister aller betroffenen Gemeinden, deren Gemeindegebiet von dem
Bombenabwurfplatz beansprucht wurde, schlossen sich darauf hin zusammen und
wurden von dem Landrat des Landkreises Ostprignitz-Ruppin, von weiteren
umliegenden Städten wie etwa Rheinsberg sowie insbesondere von der neu gegründeten
Bürgerinitiative „Freie Heide“ unterstützt.
Die Bürgermeister, der Landrat und die Bürgerinitiative baten uns daraufhin um
ihre Prozessvertretung. Bereits im Januar 1994 erklärten wir auf einer
Pressekonferenz in dem damals noch nicht umgebauten Reichstag, dass wir –
insbesondere angesichts des unzumutbaren Umgangs der Bundeswehr mit den
Menschen vor Ort – keinen Anlass hätten, die Inbetriebnahme des Bombodroms
hinzunehmen. Wir haben am 27. Januar 1994 gegen das Bombodrom Klage erhoben,
die in allen drei Instanzen erfolgreich war. Das Oberverwaltungsgericht
tenorierte die Verurteilung der Bundesrepublik antragsgemäß dahingehend, dass
der Bundeswehr die Nutzung des Geländes „als Truppenübungsplatz oder
Luft-Boden-Schießplatz, einschließlich einer dieser Nutzung dienenden Durchführung
von Tiefflügen“ untersagt wird; die Kosten wurden in vollem Umfang der
beklagten Bundesrepublik auferlegt. Das Bundesverwaltungsgericht hat durch die
Urteile vom 14. Dezember 2000 die hiergegen gerichtete Revision der Bundesrepublik
zurückgewiesen (OVG 3 A 60.97 sowie BVerwG 4 C 13.99).
2. In der Folgezeit war es für die Kläger sogar noch erforderlich, gegen die
Bundeswehr ein Zwangsvollstreckungsverfahren durchzuführen, da zwar
weiterhin keine Truppenübungen und Tiefflüge stattfanden – das Gelände wird
praktisch seit Anfang der 90iger Jahre nicht mehr genutzt – die Bundeswehr aber
das Gelände absperrte und als "Truppenübungsplatz" und „militärischen
Sicherheitsbereich“ bezeichnete. Auf Antrag der Gemeinden wurde der
Bundesrepublik durch rechtskräftigen Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für
das Land Brandenburg vom 20. Dezember 2001 „für den Fall, dass sie ihren
Unterlassungspflichten aus den rechtskräftigen Urteilen des Senats vom 24. März
1999 ... weiterhin zuwiderhandelt, ein Zwangsgeld“ angedroht (Az: 3 E 87/01).
3. Das Bundesverwaltungsgericht schloss sich in seinen Urteilen vom 14.
Dezember 2000 insbesondere unserer Argumentation an, dass die Inbetriebnahme
des Bombodroms aus zwei Gründen rechtswidrig ist: Zum Einen wurde das
verfassungsrechtliche Abwägungsgebot der Gemeinden bei der Entscheidung der
Bundeswehr im Jahre 1993 nicht gewahrt, zum Anderen verletzte die Bundeswehr bereits
durch die Platzabsperrung die Eigentumsrechte der Gemeinde insbesondere
hinsichtlich der seit jeher in Gemeindebesitz befindlichen und neu beplanten
Wegen und Straßen durch das Bombodrom. Die Bundeswehr hat nach dieser
Entscheidung ein so genanntes Anhörungsverfahren durchgeführt. Die Kläger und
die weiteren Gemeinden haben sich an diesem Verfahren beteiligt und bereits frühzeitig
deutlich gemacht, dass das Anhörungsverfahren nicht dem rechtsstaatlichen
Mindeststandard entspricht. Insbesondere wurde gar nicht deutlich gemacht, wie
die geplante Nutzung konkret aussehen soll und wie infolgedessen die Belastung
der Gemeinden und ihrer Bürger ist.
Während des Anhörungsverfahrens wurde insbesondere deutlich, dass die
Bundeswehr gegenüber der sowjetischen Nutzung ein vollständig geändertes
Nutzungskonzept für die Tiefflüge plante. Zwar liegen die Bombenabwurfziele
– wie zu sowjetischen Zeiten – im südöstlichen Bereich des Bombodroms; während
die sowjetischen Kampfmaschinen diese Bombenabwurfziele in Ost-West-Richtung
anflogen und den nördlichen Bereich des Bombodroms und seine Umgebung nicht überflogen,
plant die Bundeswehr einen An- und Abflug vom nördlichen Ende des Bombodroms
und einen überflug der Gemeinden im nördlichen Umkreis. Diese Gemeinden waren
zu sowjetischen Zeiten durch Tiefflüge nicht belastet.
Trotz dieser grundlegenden änderung der Flugkonzeption hat die Bundeswehr
besonders betroffene Gemeinden, die an die nördliche Grenze des Bombodroms
grenzen, entgegen den Vorgaben des Bundesverwaltungsgerichts nicht angehört; es
handelt sich insbesondere um die Gemeinden Lärz und Rechlin. Die Gemeinde Lärz
grenzt etwa 1,5 km an das Bombodrom an und ist nicht durch besondere überflughöhen
geschützt, so dass die überflüge in diesem Bereich bis zu einer Höhe von 150 m
stattfinden können. Diese Gemeinden waren trotz mehrfacher Bitten und
Aufforderungen von der Anhörung mit dem sachlich abwegigen Argument
ausgeschlossen worden, ihre Lärmbelastungen seien unerheblich, weil sie
jenseits der Landesgrenze in Mecklenburg-Vorpommern liegen.
Die betroffenen Gemeinden haben dann beschlossen, gegen eine eventuelle
positive Entscheidung der Bundeswehr zur Weiternutzung des Platzes gerichtlich
vorzugehen; die Gemeinden werden hierbei praktisch von der gesamten Region -
darunter auch mehreren hundert Unternehmen, die nach 1990 in der Region
Kliniken, touristische Einrichtungen etc. aufgebaut hatten - unterstützt.
4. Die Bundeswehr hat sich über die Betroffenen hinweggesetzt, ohne ihre
Argumente auch nur im Einzelnen zu prüfen und zu würdigen. Sie hat am 09. Juli
2003 einen erneuten Nutzungsbescheid erlassen, gegen den wir umgehend Klage
erhoben haben. Die Klagen haben aufschiebende Wirkung, da die Bundeswehr es
versäumt hatte, in ihrem Zulassungsbescheid vom 09. Juli 2003 die sofortige
Vollziehung anzuordnen. Diese Anordnung geschah dann mit einiger Verspätung und
der Ankündigung, zehn Tage nach der Vollziehungsanordnung mit den Tiefflügen
und Bombenabwürfen zu beginnen. Hiergegen sind wir für die Betroffenen durch
Anträge auf einstweiligen Rechtsschutz vor dem Verwaltungsgericht Potsdam am
11. August 2003 vorgegangen. Nach einem ersten Erörterungstermin am 14. August
2003 vor dem Verwaltungsgericht Potsdam hat das Verteidigungsministerium auf
Bitte des Gerichts erklärt, die Entscheidung des Verwaltungsgerichts in den
einstweiligen Verfahren abwarten zu wollen; das Gericht sagte zu, diese
Entscheidung bis zum 30. September 2003 zu treffen. Ein zunächst avisierter übungsbeginn
am 18. August 2003 wurde dadurch verhindert. Am 18. September 2003 gab das
Verwaltungsgericht dem Antrag der Gemeinde Schweinrich statt und bezweifelte,
ob überhaupt eine Rechtsgrundlage für die Nutzung des Platzes existiert. Weder
das Grundgesetz noch der Einigungsvertrag geben dafür genügend her. Eine
Nutzung des Platzes ist daher auf unabsehbare Zeit - zumindest jedoch bis zum
Abschluß der Klageverfahren - verhindert. Durch Beschluß vom 25. September 2003
wurde mit gleicher Begründung dem Antrag der Gemeinde Flecken-Zechlin
stattgegeben. Auch der Antrag der Gemeinde Lärz (Mecklenburg-Vorpommern) hatte
Erfolg. Das Gericht rügt in diesem Verfahren, dass die Lärmberechnungen des
Verteidigungsministeriums unzureichend sind, da die An- und Abflüge nicht
betrachtet wurden. Das von uns in Auftrag gegebene Lärmgutachten (siehe unten)
kam zu dem Ergebnis, dass der Lärm in der Gemeinde Lärz unzumutbare Ausmaße
annimmt. In den Verfahren der Gemeinden Schweinrich und Lärz hat das
Verteidigungsministerium inzwischen Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht in
Frankfurt/Oder eingelegt.
Durch Beschluß vom 28. Januar 2004 gab das VG Potsdam auch einem von uns
vertretenen Hotelier Recht. Die Inhaber des Seehotels Ichlim hatten gerügt,
dass ihre Belange überhaupt nicht abgewogen wurden, obwohl sie unmittelbar in
der Einflugschneise liegen. Dies sah das Gericht ebenso und gab erstmals einem
Bürger im Streit um das Bombodrom Recht. Die Entscheidung ist richtungsweisend,
da die Bundeswehr auch nicht die Belange aller anderen betroffenen Bürger berücksichtigt
hat.
Insgesamt wurden 12 Klagen erhoben und 4 Anordnungsanträge gestellt:
a) Kläger sind zunächst diejenigen Gemeinden, die bereits in den letzten
10 Jahren erfolgreich vor der Verwaltungsgerichtsbarkeit die Nutzung des
Bombenabwurfplatzes verhindert haben. Diese Gemeinden hatten seit 1994 gegen
die geplante Inbetriebnahme geklagt und in allen drei Instanzen gewonnen;
zuletzt war der Bundeswehr durch rechtskräftiges Urteil des
Bundesverwaltungsgerichts vom 14. Dezember 2000 eine Nutzung einschließlich der
hiermit zusammenhängenden Tiefflüge untersagt worden. Die klagenden Gemeinden
gehören insbesondere den ämtern Rheinsberg und Wittstock-Land an; das
Gemeindegebiet dieser Kläger wird durch die Beanspruchung des
Bombenabwurfplatzes in großem Umfang (bei Schweinrich über 50%) beansprucht und
abgesperrt. Darüber hinaus wurden die Klagen erhoben für Anliegergemeinden im südlichen
Teil von Mecklenburg-Vorpommern (insbesondere die Gemeinde Rechlin am Müritzsee),
deren Ortsgebiet in der Tiefflugschneise des Bombenabwurfplatzes liegen.
b) Eine zweite Gruppe von Klägern besteht aus besonders betroffenen touristischen
Unternehmen im Bereich der Tiefflugschneise des Bombenabwurfplatzes. Diese
Unternehmen haben sich dort in besonders ruhigen und schutzwürdigen
Erholungsgebieten angesiedelt und sind hierzu auch in den 90iger Jahre gefördert
worden. Tieffluglärm würde den weiteren Betrieb dieser Unternehmen gefährden
oder sogar verunmöglichen.
c) Kläger sind darüber hinaus die anerkannten Naturschutzverbände BUND
und NABU in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. Diese Klagen sind deshalb
besonders erfolgversprechend, weil in den letzten drei Jahren aufgrund der
zwingenden Vorgaben des Rechts der Europäischen Gemeinschaften „Habitate“ (also
durch Recht der Europäischen Gemeinschaften geschützte Naturschutzgebiete) im
Auswirkungsbereich des Bombenabwurfplatzes festgesetzt worden sind. über 80%
des gesamten Bombenabwurfplatzes sind als gemeinschaftsrechtliches Habitat
wegen der besonders schutzwürdigen Vegetation festgesetzt. Darüber hinaus sind
von den Truppenübungen und insbesondere den Tiefflügen insgesamt über 10
kleinere und größere Habitate betroffen, die insbesondere dem Schutz der dort
befindlichen vom Aussterben bedrohten Vögel dienen. In besonderem Maße gilt
dies für den Müritz-Nationalpark, der in seinem südlichen Teil nach europäischem
Recht ein besonders qualifiziertes Vogelschutzgebiet darstellt. Die anerkannten
Naturschutzverbände machen ihre Rechte insbesondere in der seit dem Jahre 2002
durch das Bundesnaturschutzgesetz eingeräumten Verbandsklage geltend, die
gerade zum Schutz der europarechtlichen Habitate durch gerichtliche überprüfungen
geschaffen wurde.
5. Die rechtlichen Argumente gegen die Inbetriebnahme des Bombodroms wiegen
schwer:
a) Die inzwischen bekannt gewordenen Zahlen über Flugbewegungen und Flughöhe
der Tiefflieger übertreffen die bisherigen Befürchtungen zu den Lärmbelastungen
der Menschen der Region. Entgegen den öffentlichen Erklärungen der Bundeswehr
sieht der Zulassungsbescheid vor, dass auch über bewohnten Gebieten Flughöhen
von bis zu 150 m zulässig sind; die von der Bundeswehr angegebenen überflughöhen
von 450 m außerhalb des Bombodroms betreffen nur einige ausgewählte Orte.
Der überflug eines Tornado mit 450 m bewirkt eine Lärmbelastung von 102 dB(A).
Die Wirkung auf den Menschen beträgt mithin ca. das acht- bis zehnfache der Lärmbelastung,
die ein in nächster Nähe vorbeifahrender LKW oder Hochgeschwindigkeitszug
verursacht.
Völlig unakzeptabel ist in diesem Zusammenhang, dass das von der Bundeswehr
vorgelegte Lärmgutachten die entscheidenden Tiefflugbelastungen der
Umgebungsbevölkerung überhaupt nicht betrachtet hat; die von der Bundeswehr
genannten Zahlen basieren auf der Betrachtung von Flugbewegungen und Flugrouten
innerhalb des Bombodroms selbst.
Wir haben daher dem Verwaltungsgericht Potsdam ein umfangreiches Lärmgutachten
vorgelegt. Es wurde im Auftrag der klagenden Gemeinden erstellt von der Firma
BeSB GmbH (Dr. Schaffert) in Berlin. Herr Dr. Schaffert ist einer der in
Deutschland führenden Gutachter für die Berechnung von Lärmbelastungen und ist überwiegend
tätig für Ministerien, das Umweltbundesamt und Flughafenbetreiber. Es handelt
sich um das erste wissenschaftliche Gutachten in welchem die Lärmauswirkungen
der Tiefflüge des Bombodroms Wittstock auf die Umgebungsbevölkerung geprüft
wurde. Aus dem Gutachten ergibt sich Folgendes:
Die Gutachter haben in Computersimulationen die Lärmauswirkungen für zwei
bewohnte Gebiete im Norden des Bombodroms berechnet, und zwar für die bewohnten
Gebiete in der Gemeinde Lärz (Ortsteil Ichlim) und in Flecken Zechlin. Die
Berechnungen wurden für alle auf dem Bombodrom zugelassenen Jagdbomber
vorgenommen, also insbesondere für den Tornado der Bundeswehr sowie die
Jagdbomber Phantom F4F und Thunderbolt. Es ergibt sich bei vorsichtiger Abschätzung
für Ichlim (Lärz) bereits hinsichtlich des Durchschnittswertes (äquivalenter
Dauerschallpegel) Werte, die die Grenze der zulässigen Gesundheitsbeeinträchtigung
übersteigen. Hieraus folgt, dass das Bombodrom in dem von der Bundeswehr
vorgesehenen Nutzungskonzept unabhängig von den Fehlern der Anhörung und Abwägung
der Gemeinden unzulässig ist; nach der Rechtsprechung darf die Grenze zur
Gesundheitsgefährdung auf keinen Fall überschritten werden.
Noch schwerwiegender sind die so genannten Einzelereignisse, die bei Ichlim 109
dB(A) (überflughöhe 150 m) und im Ortskern Flecken Zechlin 97 dB(A) (überflughöhe
450 m) betragen. Diese Einzelereignisse, die bei Tag und bei Nacht zugelassen
sind, sind so hoch, dass sie „die in der Literatur angegebenen Grenzwerte für
das Auftreten von Gehörschäden nur um wenige dB unterschreiten“ (Gutachten,
Blatt 3). Bei Ichlim und Flecken Zechlin überschreiten sie wegen der
vorgesehenen Häufigkeit bei Tag und Nacht die Grenze der zulässigen
Gesundheitsbeeinträchtigung.
Das Gutachten kritisiert in einer ungewöhnlich scharfen Form die Methode und
die Immissionsberechnungen, die die Bundeswehr zur Rechtfertigung des
Bombodroms herangezogen hat. Besonders schwerwiegend ist, dass die Berechnungen
der Bundeswehr nur die Tiefflüge in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Bombenabwurf
betrachtet hat, nicht jedoch die An- und Abflüge zu dem Bombodrom; die
Bundeswehr hat diesen Mangel inzwischen auch offen eingeräumt. Da wir praktisch
täglich in Verfahren des Luftverkehrsrechts im Zusammenhang mit Flughäfen und
Tieffliegern befasst sind und den hohen Standard wissenschaftlicher Begutachten
in diesen Verfahren auf allen Seiten kennen, bewerten wir diesen grundsätzlichen
methodischen Fehler der Begutachtung der Bundeswehr als unverantwortlich; wir
haben kein Verständnis dafür, dass die Bundeswehr die Tiefflüge bis zu 150 m Höhe
im Bereich der An- und Abflugschneisen in ihre Berechnungen nicht einbezieht
und den Anschein erweckt, dass der Tieffluglärm des Bombodroms nur geringfügige
Lärmbelastungen für die Region verursacht.
Ebenso unverantwortlich ist aus unserer Sicht, dass die Berechnungen der
Bundeswehr nur Durchschnittswerte enthalten (äquivalenter Dauerschallpegel) und
die Einzelereignisse (insbesondere Tiefflüge über bewohnten Gebieten in 150 m Höhe)
nicht in die Berechnungen einbezieht, obwohl dies wissenschaftlich unbedingt
erforderlich ist und im vorliegenden Fall zu gesundheitsgefährdenden Lärmbelastungen
führt.
Das Verwaltungsgericht Potsdam stützt seine Entscheidung vom 25. September 2003
in dem Verfahren der Gemeinde Lärz ausdrücklich auf das von uns überreichte
Gutachten.
b) Ergänzend zu den bisherigen Argumenten ergibt sich die Unzulässigkeit der
militärischen Nutzung nunmehr auch aus Gemeinschaftsrecht: Der Platz ist mit
einer Gesamtfläche von 9.348 ha nunmehr als „Wittstock-Ruppiner Heide“ mit
wichtigen Lebensraumtypen als FFH-Gebiet gemeldet (EU – Nr. DE 2941/302) und
untersteht damit dem Schutz des Europäischen Gemeinschaftsrechts aufgrund der
FFH-Richtlinie sowie der §§ 32 ff. BNatSchG. Eine militärische Nutzung ist
hiernach definitiv ausgeschlossen; sie lässt sich auch nicht durch das positive
Ergebnis einer Verträglichkeitsprüfung herstellen. In den bisherigen
Gerichtsverfahren hat dieses – für die Bundeswehr unüberwindbare –
Rechtsproblem noch keine Rolle gespielt, da die Meldung und Veröffentlichung
des Habitats erst am 13. März 2002 erfolgte (Amtsblatt für Brandenburg,
gemeinsames Ministerialblatt für das Land Brandenburg 2002, 277). Die
Verletzung des FFH-Gebietes kann – unabhängig von der Rechtsverletzung der
Gemeinden – durch die nunmehr bundesweit eingeführte Vereinsklage geltend
gemacht werden.
Darüber hinaus würden mehr als zehn weitere FFH-Gebiete, die ausnahmslos nach
europäischem Recht geschützt sind, sowohl in Brandenburg als auch in
Mecklenburg-Vorpommern schwerwiegend beeinträchtigt. Insbesondere gilt dies für
die FFH-Vogelschutzgebiete im südlichen Müritz-Nationalpark und die dort geschützten
Adlerpopulationen, die durch die Anflugschneise der Tiefflieger schwerwiegend
betroffen sind.
Dr. Reiner Geulen/Dr. Remo Klinger
(Rechtsanwälte)