Pressemitteilung
Informationen zu den Prozessen gegen den Bombenabwurfplatz Wittstock
Stand: 14. August 2003
Die folgenden Informationen zur Vorgeschichte und zum Hintergrund der Prozesse
gegen den Bombenabwurfplatz Wittstock sollen verdeutlichen, aus welchen Gründen
die betroffenen Menschen der Region und wir als ihre Prozessbevollmächtigten
keinen Anlass und keine Bereitschaft haben, die Inbetriebnahme des Bombodroms
durch die Bundeswehr hinzunehmen und weshalb wir daher entschlossen sind,
dieses Vorhaben der Bundeswehr mit allen rechtsstaatlichen Mitteln zu
verhindern.
Die unerträglichen Lärmbelastungen der Tiefflüge, die vorhersehbare Ruinierung
der nach der Wende erfolgreich aufgebauten touristischen Einrichtungen, die
absehbare Schädigung der nach europäischem Recht geschützten Habitate und
Vogelschutzgebiete und insbesondere der autokratische und unzumutbare Umgang
des Militärs mit den Menschen dieser Region zeigen, dass ein Kompromiss
zwischen den Plänen der Bundeswehr und den legitimen Rechten der Betroffenen
ausgeschlossen ist.
1. Der Truppenübungs- und Bombenabwurfplatz in der Wittstock-Ruppiner Heide
wurde nach dem 2. Weltkrieg von den sowjetischen Streitkräften in einem Gebiet
angelegt, das wegen seiner landschaftlichen Schönheit bis zur deutschen
Spaltung weit über die Grenzen der Region hinaus bekannt war und insbesondere
von Berlinern als Naherholungsgebiet genutzt wurde. Nach 1949 haben die
sowjetischen Streitkräfte den militärischen Übungsplatz sukzessive ausgebaut
bis er in den 80iger Jahre über 140 km2 umfasste. Es fanden hier insbesondere
Truppenübungen statt sowie Bombenabwürfe durch tief fliegende Militärmaschinen.
Das „Stalin-Bombodrom“ war bei den Menschen der Region verhasst und die
politischen Verhältnisse ließen keinerlei Widerstand zu.
Nach der Wende fiel das Gelände aufgrund des Einigungsvertrages an den Bund und
wurde vom Bundesvermögensamt verwaltet. Die Bundeswehr hatte frühzeitig
erklärt, dass sie an der Fortsetzung einer militärischen Nutzung nicht
interessiert ist; das Gelände war also nach Abzug der sowjetischen Truppen im
Jahre 1993 aufgrund des Zwei-plus-Vier-Vertrages den ursprünglichen
öffentlichen Eigentümern (insbesondere den Gemeinden) zurückzugeben.
Ende 1993 erklärte die Bundeswehr jedoch überraschend, dass sie das Gelände
nunmehr doch militärisch nutzen wolle, und zwar als Truppenübungsplatz, als
Schießplatz sowie insbesondere als Übungsplatz für Bombenabwürfe (durch
simulierte Bomben) von tief fliegenden Militärmaschinen. Wenn man die seither
zunehmende Empörung der Menschen vor Ort verstehen will, muss man wissen, dass
die Bundeswehr diesen Wortbruch dadurch vollzog, dass sie einige Tage vor
Weihnachten 1993 das inzwischen von den Gemeinden praktisch wieder übernommene,
benutzte und beplante Gelände einfach absperrte, Sperrschranken errichtete und
in großer Zahl Schilder aufstellte, die der Bevölkerung das Betreten des
Geländes unter Androhung von Waffengebrauch untersagte. Die Absperrungen gingen
teilweise weit über die Grenzen des seinerzeitigen „Stalin-Bombodroms“ hinaus.
In der Gemeinde Schweinrich z. B. wurde mehr als die Hälfte des Gemeindegebiets
bis an die Grenzen des Ortskerns abgesperrt.
Die Bürgermeister aller betroffenen Gemeinden, deren Gemeindegebiet von dem
Bombenabwurfplatz beansprucht wurde, schlossen sich darauf hin zusammen und
wurden von dem Landrat des Landkreises Ostprignitz-Ruppin, von weiteren
umliegenden Städten wie etwa Rheinsberg sowie insbesondere von der neu
gegründeten Bürgerinitiative „Freie Heide“ unterstützt.
Die Bürgermeister, der Landrat und die Bürgerinitiative baten uns daraufhin um
ihre Prozessvertretung. Bereits im Januar 1994 erklärten wir dann gemeinsam auf
einer Pressekonferenz in dem damals noch offenen und nicht-umgebauten Berliner
Reichstag, dass wir – insbesondere angesichts des unzumutbaren Umgangs der
Bundeswehr mit den Menschen vor Ort – keinen Anlass hätten, die Inbetriebnahme
des Bombodroms hinzunehmen. Wir haben dann am 27. Januar 1994 gegen das
Bombodrom Klage erhoben, die in allen drei Instanzen erfolgreich war. Das
Oberverwaltungsgericht tenorierte die Verurteilung der Bundesrepublik
antragsgemäß dahingehend, dass der Bundeswehr die Nutzung des Geländes „als
Truppenübungsplatz oder Luft-Boden-Schießplatz, einschließlich einer dieser
Nutzung dienenden Durchführung von Tiefflügen“ untersagt wird; die Kosten
wurden in vollem Umfang der beklagten Bundesrepublik auferlegt. Das
Bundesverwaltungsgericht hat durch die Urteile vom 14. Dezember 2000 die
hiergegen gerichtete Revision der Bundesrepublik zurückgewiesen (OVG 3 A 60.97
sowie BVerwG 4 C 13.99).
2. Es war für die Kläger sogar noch erforderlich, gegen die Bundeswehr ein Zwangsvollstreckungsverfahren
durchzuführen, da zwar weiterhin keine Truppenübungen und Tiefflüge stattfanden
– das Gelände wird praktisch seit Anfang der 90iger Jahre nicht mehr genutzt –
die Bundeswehr aber weiterhin das Gelände absperrte und als
"Truppenübungsplatz" und „militärischen Sicherheitsbereich“
bezeichnete. Auf Antrag der Gemeinden wurde daher der Bundesrepublik durch rechtskräftigen
Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Brandenburg vom 20. Dezember
2001 „für den Fall, dass sie ihren Unterlassungspflichten aus den
rechtskräftigen Urteilen des Senats vom 24. März 1999 ... weiterhin
zuwiderhandelt, ein Zwangsgeld“ angedroht (Az: 3 E 87/01).
3. Das Bundesverwaltungsgericht schloss sich in seinen Urteilen vom 14.
Dezember 2000 insbesondere unserer Argumentation an, dass die Inbetriebnahme
des Bombodroms aus zwei Gründen rechtswidrig ist: Zum Einen wurde das
verfassungsrechtliche Abwägungsgebot der Gemeinden bei der Entscheidung der
Bundeswehr im Jahre 1993 nicht gewahrt, zum Anderen verletzte die Bundeswehr
bereits durch die Platzabsperrung die Eigentumsrechte der Gemeinde insbesondere
hinsichtlich der seit jeher in Gemeindebesitz befindlichen und neu beplanten
Wegen und Straßen durch das Bombodrom. Die Bundeswehr hat nach dieser
Entscheidung ein so genanntes Anhörungsverfahren durchgeführt. Die Kläger und
die weiteren Gemeinden haben sich an diesem Verfahren beteiligt und bereits
frühzeitig deutlich gemacht, dass das Anhörungsverfahren nicht dem
rechtsstaatlichen Mindeststandard entspricht. Insbesondere wurde gar nicht
deutlich gemacht, wie die geplante Nutzung konkret aussehen soll und wie
infolgedessen die Belastung der Gemeinden und ihrer Bürger ist.
Während des Anhörungsverfahrens wurde insbesondere deutlich, dass die
Bundeswehr gegenüber der sowjetischen Nutzung ein vollständig geändertes
Nutzungskonzept für die Tiefflüge plante. Zwar liegen die Bombenabwurfziele
– wie zu sowjetischen Zeiten – im südöstlichen Bereich des Bombodroms; während
jedoch die sowjetischen Kampfmaschinen diese Bombenabwurfziele in
Ost-West-Richtung anflogen und mithin den nördlichen Bereich des Bombodroms und
seine Umgebung überhaupt nicht überflogen, plant die Bundeswehr einen An- und
Abflug vom nördlichen Ende des Bombodroms und mithin einen Überflug der
Gemeinden im gesamten nördlichen Umkreis. Diese Gemeinden waren zu sowjetischen
Zeiten durch Tiefflüge nicht belastet.
Trotz dieser grundlegenden Änderung der Flugkonzeption hat die Bundeswehr
besonders betroffene Gemeinden, die unmittelbar an die nördliche Grenze des
Bombodroms angrenzen, entgegen den zwingenden Vorgaben des
Bundesverwaltungsgerichts überhaupt nicht angehört; es handelt sich insbesondere
um die Gemeinden Lärz und Rechlin. Die Gemeinde Lärz grenzt etwa 1,5 km an das
Bombodrom an und ist nicht durch besondere Überflughöhen geschützt, so dass die
Überflüge in diesem Bereich bis zu einer Höhe von 150 m stattfinden können.
Diese Gemeinden waren trotz mehrfacher Bitten und Aufforderungen von der
Anhörung mit sachlich abwegigen Argument ausgeschlossen worden, ihre
Lärmbelastungen seien unerheblich, weil sie jenseits der Landesgrenze zu
Mecklenburg-Vorpommern liegen.
Die betroffenen Gemeinden haben dann beschlossen, gegen eine eventuelle
positive Entscheidung der Bundeswehr zur Weiternutzung des Platzes gerichtlich
vorzugehen; die Gemeinden werden hierbei praktisch von der gesamten Region -
darunter auch mehreren hundert Unternehmen, die nach 1990 in der Region
Kliniken, touristische Einrichtungen etc. aufgebaut hatten - unterstützt.
4. Die Bundeswehr hat sich über die Betroffenen hinweggesetzt, ohne ihre
Argumente auch nur im Einzelnen zu prüfen und zu würdigen. Sie hat am 09. Juli
2003 einen erneuten Nutzungsbescheid erlassen, gegen den wir umgehend Klage
erhoben haben. Die Klagen haben aufschiebende Wirkung, da die Bundeswehr es
versäumt hatte, in ihrem Zulassungsbescheid vom 09. Juli 2003 die sofortige
Vollziehung anzuordnen. Diese Anordnung geschah dann mit einiger Verspätung und
der Ankündigung, zehn Tage nach der Vollziehungsanordnung mit den Tiefflügen
und Bombenabwürfen zu beginnen. Hiergegen sind wir für die Betroffenen durch
Anträge auf einstweiligen Rechtsschutz vor dem Verwaltungsgericht Potsdam am
11. August 2003 vorgegangen .
Es wurden insgesamt 14 Klagen und Anordnungsanträge erhoben:
a) Kläger sind zunächst diejenigen Gemeinden, die bereits in den letzten
10 Jahren erfolgreich vor der Verwaltungsgerichtsbarkeit die Nutzung des
Bombenabwurfplatzes verhindert haben. Diese Gemeinden hatten seit 1994 gegen
die geplante Inbetriebnahme geklagt und in allen drei Instanzen gewonnen;
zuletzt war der Bundeswehr durch rechtskräftiges Urteil des
Bundesverwaltungsgerichts vom 14. Dezember 2000 eine Nutzung einschließlich der
hiermit zusammenhängenden Tiefflüge untersagt worden. Die klagenden Gemeinden
gehören insbesondere den Ämtern Rheinsberg und Wittstock-Land an; das
Gemeindegebiet dieser Kläger wird durch die Beanspruchung des Bombenabwurfplatzes
in großem Umfang (bei Schweinrich über 50%) beansprucht und abgesperrt. Darüber
hinaus wurden die Klagen erhoben für Anliegergemeinden im südlichen Teil von
Mecklenburg-Vorpommern (insbesondere die Gemeinde Rechlin am Müritzsee), deren
Ortsgebiet in der Tiefflugschneise des Bombenabwurfplatzes liegen.
b) Eine zweite Gruppe von Klägern besteht aus besonders betroffenen touristischen
Unternehmen im Bereich der Tiefflugschneise des Bombenabwurfplatzes. Diese
Unternehmen haben sich dort in besonders ruhigen und schutzwürdigen
Erholungsgebieten angesiedelt und sind hierzu auch in den 90iger Jahre
gefördert worden. Tieffluglärm würde den weiteren Betrieb dieser Unternehmen
gefährden oder sogar verunmöglichen.
c) Kläger sind darüber hinaus die anerkannten Naturschutzverbände BUND
und NABU in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. Diese Klagen sind deshalb
besonders erfolgversprechend, weil in den letzten drei Jahren aufgrund der
zwingenden Vorgaben des Rechts der Europäischen Gemeinschaften „Habitate“ (also
durch Recht der Europäischen Gemeinschaften geschützte Naturschutzgebiete) im
Auswirkungsbereich des Bombenabwurfplatzes festgesetzt worden sind. Über 80%
des gesamten Bombenabwurfplatzes sind als gemeinschaftsrechtliches Habitat
wegen der besonders schutzwürdigen Vegetation festgesetzt. Darüber hinaus sind
von den Truppenübungen und insbesondere den Tiefflügen insgesamt über 10
kleinere und größere Habitate betroffen, die insbesondere dem Schutz der dort
befindlichen vom Aussterben bedrohten Vögel dienen. In besonderem Maße gilt
dies für den Müritz-Nationalpark, der in seinem südlichen Teil nach
europäischem Recht ein besonders qualifiziertes Vogelschutzgebiet darstellt.
Die anerkannten Naturschutzverbände machen ihre Rechte insbesondere in der seit
dem Jahre 2002 durch das Bundesnaturschutzgesetz eingeräumten Verbandsklage
geltend, die gerade zum Schutz der europarechtlichen Habitate durch
gerichtliche Überprüfungen geschaffen wurde.
5. Die rechtlichen Argumente gegen die Inbetriebnahme des Bombodroms wiegen
schwer:
a) Die inzwischen bekannt gewordenen Zahlen über Flugbewegungen und Flughöhe
der Tiefflieger übertreffen die bisherigen Befürchtungen zu den Lärmbelastungen
der Menschen der Region. Entgegen den öffentlichen Erklärungen der Bundeswehr
sieht der Zulassungsbescheid vor, dass auch über bewohnten Gebieten Flughöhen
von bis zu 150 m zulässig sind; die von der Bundeswehr angegebenen
Überflughöhen von 450 m außerhalb des Bombodroms betreffen nur einige
ausgewählte Orte.
Der Überflug eines Tornado mit 450 m bewirkt eine Lärmbelastung von 102 dB(A).
Die Wirkung auf den Menschen beträgt mithin ca. das acht- bis zehnfache der
Lärmbelastung, die ein in nächster Nähe vorbeifahrender LKW oder
Hochgeschwindigkeitszug verursacht.
Völlig unakzeptabel ist in diesem Zusammenhang, dass das von der Bundeswehr
vorgelegte Lärmgutachten die entscheidenden Tiefflugbelastungen der
Umgebungsbevölkerung überhaupt nicht betrachtet hat; die von der Bundeswehr
genannten Zahlen basieren auf der Betrachtung von Flugbewegungen und Flugrouten
innerhalb des Bombodroms selbst.
b) Ergänzend zu den bisherigen Argumenten ergibt sich die Unzulässigkeit der
militärischen Nutzung nunmehr auch aus Gemeinschaftsrecht: Der Platz ist mit
einer Gesamtfläche von 9.348 ha nunmehr als „Wittstock-Ruppiner Heide“ mit
wichtigen Lebensraumtypen als FFH-Gebiet gemeldet (EU – Nr. DE 2941/302) und
untersteht damit dem Schutz des Europäischen Gemeinschaftsrechts aufgrund der
FFH-Richtlinie sowie der §§ 32 ff. BNatSchG. Eine militärische Nutzung ist
hiernach definitiv ausgeschlossen; sie lässt sich auch nicht durch das positive
Ergebnis einer Verträglichkeitsprüfung herstellen. In den bisherigen
Gerichtsverfahren hat dieses – für die Bundeswehr unüberwindbare –
Rechtsproblem noch keine Rolle gespielt, da die Meldung und Veröffentlichung
des Habitats erst am 13. März 2002 erfolgte (Amtsblatt für Brandenburg,
gemeinsames Ministerialblatt für das Land Brandenburg 2002, 277). Die
Verletzung des FFH-Gebietes kann – unabhängig von der Rechtsverletzung der
Gemeinden – durch die nunmehr bundesweit eingeführte Vereinsklage geltend
gemacht werden. Wir sind inzwischen von mehreren klagebefugten
brandenburgischen Naturschutzverbänden beauftragt worden, wegen der Verletzung
des FFH-Gebietes ebenfalls Klage zu erheben.
Darüber hinaus würden mehr als zehn weitere FFH-Gebiete, die ausnahmslos nach
europäischem Recht geschützt sind, sowohl in Brandenburg als auch in
Mecklenburg-Vorpommern schwerwiegend beeinträchtigt. Insbesondere gilt dies für
die FFH-Vogelschutzgebiete im südlichen Müritz-Nationalpark und die dort
geschützten Adlerpopulationen, die durch die Anflugschneise der Tiefflieger
schwerwiegend betroffen sind.
Wir haben aus diesen Gründen die hierfür zuständigen Umweltministerien der
Länder Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern aufgefordert, der Bundesregierung
zu untersagen, das Bombodrom in Betrieb zu nehmen und insbesondere Tiefflüge
durchzuführen.
Dr. Reiner Geulen/Dr. Remo Klinger
(Rechtsanwälte)