Presseerklärung vom 12. August 2003
Bombenabwurfplatz Wittstock (Antrag auf Erlass einer
einstweiligen Anordnung)
In dem Klageverfahren gegen die Inbetriebnahme des Bombenabwurfplatzes
Wittstock haben wir gestern abend Anträge auf Erlass einer einstweiligen
Anordnung gegen den für den 18. August 2003 geplanten Beginn des Tiefflug- und
Bombenabwurfbetriebes der Bundeswehr gestellt.
1. Wir hatten am 30. Juli gegen die Betriebsgenehmigung Klage erhoben und dem
Verteidigungsministerium mitgeteilt, dass diese Klage aufschiebende Wirkung
hat; bekanntlich hatte es das Verteidigungsministerium versäumt, mit dem
Zulassungsbescheid vom 9. Juli 2003 die sofortige Vollziehung anzuordnen. Dies
ist nunmehr mit Verspätung geschehen, so dass der Anordnungsantrag erforderlich
wurde.
Die streitige Vollziehungsanordnung, die das Ziel hat, eine gerichtliche
Überprüfung des Bombodroms durch die Kläger vor Betriebsbeginn auszuschließen,
umfasst genau zwei Seiten und erschöpft sich in einigen allgemeinen
Überlegungen, die die Bundeswehr bereits seit 10 Jahren vorträgt. Wir haben dem
Verwaltungsgericht Potsdam mitgeteilt, dass wir Umfang und Inhalt der
Vollziehungsanordnung gegenüber den betroffenen Menschen der Region für eine
Zumutung halten. Selbst in bescheidenen Verwaltungsverfahren werden heute
solche Vollziehungsanordnungen umfangreich unter Zugrundelegung von
Lärmgutachten durch die unteren Verwaltungsbehörden begründet. Die
Vollziehungsanordnung der Bundeswehr ist so dürftig, dass sie nicht einmal für
die Erteilung einer Gaststättenerlaubnis ausreichen würde.
2. Die inzwischen bekannt gewordenen Zahlen über Flugbewegungen und Flughöhe
der Tiefflieger übertreffen die bisherigen Befürchtungen der Menschen der
Region. Entgegen den öffentlichen Erklärungen der Bundeswehr sieht der
Zulassungsbescheid vor, dass auch über bewohnten Gebieten Flughöhen von bis zu
150 m zulässig sind; die von der Bundeswehr angegebenen Überflughöhen von 450 m
außerhalb des Bombodroms betreffen nur einige ausgewählte Orte.
Der Überflug eines Tornado mit 450 m bewirkt eine Lärmbelastung von 102 dB(A).
Die Wirkung auf den Menschen beträgt mithin ca. das acht- bis zehnfache der
Lärmbelastung, die ein in nächster Nähe vorbeifahrender LKW oder
Hochgeschwindigkeitszug verursacht.
Völlig unakzeptabel ist in diesem Zusammenhang, dass das von der Bundeswehr
vorgelegte Lärmgutachten die entscheidenden Tiefflugbelastungen der
Umgebungsbevölkerung überhaupt nicht betrachtet hat; die von der Bundeswehr
genannten Zahlen basieren auf der Betrachtung von Flugbewegungen und Flugrouten
innerhalb des Bombodroms selbst.
3. Wir betrachten die verspätete Vollziehungsanordnung angesichts der
unveränderten Ankündigung der Inbetriebnahme am 18. August 2003 als den Versuch
der Bundeswehr, vor einer gerichtlichen Überprüfung der unhaltbaren
Nutzungsentscheidung vollendete Tatsachen zu schaffen und sich einer
substantiellen gerichtlichen Überprüfung zu entziehen.
Wir haben dem Verteidigungsministerium bereits im Jahre 1993 mitgeteilt, dass
für die beabsichtigte Nutzung ein formelles Planungsverfahren und insbesondere
ein valide Abschätzung der Lärmbelastungen gesetzlich zwingend vorgeschrieben
ist. Die Bundeswehr hat sich gleichwohl auf einen jahrelangen Prozess
eingelassen und diesen gegen die von uns vertretenen Gemeinden in allen drei
Instanzen verloren. Wenn nunmehr nach zehn Jahren endlich eine gerichtlich
überprüfbare Genehmigung vorliegt, verletzt es das Gebot der rechtsstaatlichen
Fairness, zehn Tage nach der Vollziehungsentscheidung mit den
Bombenabwurf-Tiefflügen zu beginnen ohne eine gerichtliche Entscheidung
abzuwarten. Das Verteidigungsministerium riskiert hierbei bewusst nicht nur
eine schwerwiegenden und irreversible Rufschädigung für die touristisch
entwickelte Region zwischen Müritz, Neuruppin und Rheinsberg, sondern auch die
Rückforderung von Subventionen des Strukturfonds der Europäischen Union.
4. Wir haben ferner gestern die Umweltministerien der Länder
Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg aufgefordert, noch in dieser Woche der
Bundeswehr die Tiefflüge wegen der Bedrohung der nach europäischem Recht
geschützten Naturschutzgebiete zu untersagen.
Dr. Reiner Geulen/Dr. Remo Klinger
(Rechtsanwälte)