„Normal werden“ heißt für uns: Umkehr
zum Zivilen
Verleihung des Göttinger Friedenspreises der Stiftung Dr. Roland Röhl
an die Bürgerinitiative FREIeHEIDe, 3. März 2007, Universität Göttingen
Dankesrede für die Bürgerinitiative FREIeHEIDe von Roland Vogt
Verehrte Carmen Barann,
sehr geehrter Hans-Jörg Röhl,
Sehr geehrte Universitätsvizepräsidentin Frau Prof. Dr. Lemmermühle,
liebe Kathrin Göring-Eckardt,
sehr geehrte Frau Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau,
sehr geehrter Herr Oberbürgermeister Meyer,
hoch geschätzte Mitglieder der Jury sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Stiftung Dr. Roland Röhl,
liebe Mitstreiterinnen und Mitstreiter der Bürgerinitiative FREIeHEIDe,
meine Damen und Herren!
Frau Barann, gestatten Sie mir eine persönliche Bemerkung vorweg:
Als ich mich auf diese Veranstaltung einstimmte, ist mir der Stifter, Ihr Lebenspartner, als Persönlichkeit sehr nahegekommen.
Sein Leben, seine Interessengebiete, seine Haltung und was ich in langen Jahren in der Bürgerinitiative FREIe HEIDe erlebt habe, sagen mir, dass Roland Röhl, würde er noch leben, an der Seite der Menschen stünde, die sich mit Bravour und Ausdauer gegen das Krieg Üben in ihrer angestammten Heimat wehren. Ein Kompliment auch an Sie, sehr geehrte Damen und Herren der Jury: Sie haben mit Ihrer Entscheidung kongenial die Intentionen des Stifters getroffen und dafür gesorgt, dass wir uns fortan eng mit ihm und seinem Lebenswerk verbunden fühlen!
Doch lassen Sie mich nun, sehr geehrte Damen und Herren, einiges über den Werdegang, die Beweggründe und die Ziele unserer FREIeHEIDe- Bewegung vortragen. Auch will ich versuchen, Bezüge zu vergleichbaren Bürgerinitiativen herzustellen.
Im Februar 1991 teilte das Bundeswehrkommando Ost in Strausberg dem Landrat des Kreises Wittstock, Christian Gilde, mit, die Bundeswehr strebe grundsätzlich keine Übernahme von sowjetischen Militärliegenschaften an. Die Menschen in der Region Kyritz-Ruppiner Heide durften das als Entwarnung verstehen: nach jahrelangem Übungsterror mit Bombenabwürfen der sowjetischen Streitkräfte auf dem „Bombodrom“ und manchmal auch daneben würde zwischen Wittstock, Neuruppin und Rheinsberg eine Zeit himmlischen Friedens anbrechen.
Voller Vertrauen begannen Privatleute und Unternehmer in die touristische Infrastruktur im Umfeld des ehemaligen Bombenabwurfplatzes “Bombodrom“ zu investieren. So beispielsweise eine Familie in Kagar: sie nahm Kredite bis zu einer Million DM auf, abgesichert durch Bürgschaften von Freunden und Familienangehörigen, um die Modernisierung eines ehemaligen Betriebsferiengeländes zu finanzieren. Die Landschaft im Vorfeld der mecklenburgischen Seenplatte, geprägt durch Seen, Wald und Heide, war schon vor dem Zweiten Weltkrieg Erholungsgebiet für Städter aus Berlin, Bremen und Hamburg. Daran konnte man anknüpfen. Konjunktur hatten auch Konzepte zur zivilen Nachnutzung des zuletzt 142 Quadratkilometer großen Übungsgeländes.
Als der damalige Verteidigungsminister Volker Rühe am 15. August 1991 dann doch entschied, das einst sowjetische „Bombodrom“ in einen deutschen Luft- Boden- Schiessplatz verwandeln zu wollen, war der Schock groß.
Aber die Leute, die dort leben, ließen sich nicht lähmen. Sie gründeten die Bürgerinitiative FREIeHEIDe und begannen einen regionalen Volkswiderstand zu organisieren, der immer weitere Kreise zog und inzwischen deutschlandweit Resonanz findet.
Sie zogen und ziehen alle Register, durch Aufklärung und Organisation des Widerstands an der Basis, politische Lobbyarbeit und Klagen vor den Verwaltungsgerichten.
Sie zahlen dafür einen hohen Preis. Seit der Entscheidung des Bundesministers der Verteidigung vom August 1991 leben die aktiven Gegner eines Luft-Boden-Schießplatzes in der Kyritz-Ruppiner Heide in einem permanenten Ausnahmezustand. Selbstausbeutung bis zum Gehtnichtmehr, Vernachlässigung des Privatlebens – auch der eigenen Gesundheit- sind Symptome dieses Zustands. Bei meinem Freund Helmut Schönberg, seit Januar 1993 Vorsitzender es Vereins „Bürgerinitiative FREIeHEIDe“, führte die Vernachlässigung eines grippalen Infekts zum plötzlichen Herztod.
Die Betroffenen lernten schmerzlich, dass auf die „Große Politik“ kein Verlass ist. Dafür stehen die Namen Scharping und Struck. Der eine versprach als Kanzlerkandidat, der andere als Fraktionsvorsitzender, dass, sobald ihre Partei im Bund regiere, das Projekt des Luft-Boden-Schießplatzes gestoppt, die Kyritz-Ruppiner Heide für die zivile Nutzung freigegeben werde.
Durch einen wahrhaft teuflischen Schachzug des Schicksals wurden beide Politiker nacheinander Verteidigungsminister und setzten sich fortan mit aller Härte für das Rühe-Projekt ein.
Auch das Vertrauen der Landeskinder Brandenburgs in das Wort ihres jeweiligen Landesvaters und einiger seiner Minister wurde arg strapaziert. Die SPD führt seit der Neugründung des Landes Brandenburg ununterbrochen die Regierung an. Eindeutig gegen den Luft-Boden-Schießplatz verhielt sie sich nur in der Ampelkoalition während der ersten Legislaturperiode. Als sie dann allein regieren konnte, verschanzte sie sich hinter dem Argument, durch Stellungnahmen als Regierung nicht in laufende Gerichtsverfahren eingreifen zu wollen.
In der dann folgenden Großen Koalition nahm sie hinter der CDU des ehemaligen Generals und Hardthöhenstaatssekretärs Schönbohm Deckung.
Erst im Wahljahr 2004 kam auf erstaunliche Weise Bewegung ins Spiel. Wahltag war der 19. September. Im April brachte die Unternehmerinitiative Pro Heide ein kleines Wunder zustande: sie überzeugte den CDU-Wirtschaftsminister der Brandenburger Großen Koalition davon, dass es ruinös für die Erholungsregion unweit der Mecklenburgischen Seenplatte ist, wenn Ruhe und Erholung suchende Touristen durch Tiefflüge und Schießlärm verschreckt werden. Junghanns vollzog darauf hin nicht nur in der CDU sondern auch im Wirtschaftsministerium, das zuvor bei einer Anhörung das Bundeswehrprojekt „mit Nachdruck“ befürwortet hatte, einen Kurswechsel.
Er befreite so die SPD zu sich selbst
Seitdem gab es einen edlen Wettstreit der wahlkämpfenden Parteien um die Gunst der regionalen Bevölkerung, die ihrer Position im April 2004 durch zehntausend Demonstranten in der Fontanestadt Neuruppin Nachdruck verlieh.
Vor der Wahl beschloss der brandenburgische Landtag auf Antrag von SPD und CDU, auf Bundesebene gegen die Einrichtung des Luft-Boden-Schießplatzes vorgehen zu wollen.
Die spannende Frage, ob es sich dabei um ein Wahlmanöver oder um einen echten Kurswechsel handelt, wurde bemerkenswert schnell beantwortet: die Regierung bezog in ihrer Koalitionsvereinbarung Stellung gegen den „ehemaligen (!) Truppenübungsplatz“ in der Kyritz-Ruppiner Heide.
Junghanns hatte bereits im April 2004 die Initiative für eine länderübergreifende Arbeitsgruppe Nordbrandenburg-Südmecklenburg ergriffen. Diese versucht seither die angestrebte zivile Umwandlung des 142 Quadratkilometer großen Geländes in einen weiteren regionalwirtschaftlichen Kontext zu stellen, wobei sich der Dreiklang aus Wald-, Seen- und Heidelandschaft für die Vermarktung als spezifische Erholungsregion anbietet.
Auf der großpolitischen Ebene bedeutet das aber noch nicht viel. Der Bundesminister der Verteidigung Jung (CDU) wartet auf den Ausgang der Gerichtsentscheidungen im Hauptsacheverfahren, nachdem bisher fast sämtliche Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes zugunsten der Gegner des Luft-Boden-Schiessplatzes ausgegangen sind. Jung meint aber gleichwohl angesichts der Gesetzes- und Rechtslage letztlich die besseren Karten zu haben: Er vertraut unter anderem auf das Bundesverwaltungsgericht, das im Dezember 2000 der Bundeswehr zwar bis auf weiteres den Übungsbetrieb untersagt hatte, die Übernahme des einst sowjetischen Übungsplatzes durch die Bundeswehr aber für rechtmäßig erklärte.
Meine Damen und Herren,
Dass sich inzwischen vier Minister der Verteidigung mit ihrem Projekt Luft-Boden-schießplatz Kyritz-Ruppiner Heide juristisch auf der sicheren Seite wähnten, hängt mit einem politischen Versäumnis der Nach-Wende-Zeit zusammen: Privilegierungen des Militärischen, wie sie unter anderem im Landbeschaffungsgesetz ihren Ausdruck finden, wurden umstandslos auf das wiedervereinigte Deutschland übertragen, obwohl ihr Daseinsgrund, „die Bedrohung aus dem Osten“ weggefallen war. Die fällige zivile Anpassung der Rechtsordnung an die neue Lage nach Entspannung, Abrüstung und Wiedervereinigung wurde richterlicher Rechtfortbildung überlassen. Doch Richter, die ja an Gesetz und Recht gebunden sind, haben da nur einen begrenzten Handlungsspielraum. Deshalb stehen in den bisherigen Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes Fragen der versäumten Verfahrensbeteiligung der Anlieger oder des Lärmschutzes im Vordergrund, nicht aber die nach der grundlegenden Legitimität staatlichen Handelns, das anachronistisches militärische Üben erzwingen will. Angesichts der so erzeugten Lücke zwischen Legalität und Legitimität sind Überlegungen bei den zum Widerstand entschlossenen Akteuren nachvollziehbar, im Falle einer gerichtlichen Niederlage in der Hauptsache, wenn also dem Bundesminister der Verteidigung die Einrichtung des Luft-Boden-Schießplatzes durch Richterspruch zugestanden wird, zum zivilen Ungehorsam überzugehen. Frei nach Henry David Thoreau’s Essay „The Resistance to Civil Government“ von 1849: “… Wenn aber das Gesetz so beschaffen ist, dass es notwendigerweise aus dir den Arm des Unrechts an einem anderen macht, dann sage ich, brich das Gesetz. Mach dein Leben zu einem Gegengewicht, um die Maschine aufzuhalten. Jedenfalls muss ich zusehen, dass ich mich nicht zu dem Unrecht hergebe, das ich verdamme“ (zitiert nach der deutschen Fassung „Über die Pflicht zum Ungehorsam gegen den Staat“, Kleines Diogenes Taschenbuch, Zürich 1996, S.42,43). Freilich ist zu bedenken, dass der zivile Ungehorsam nur als ultima ratio, als letztes Mittel, und nur dann legitim ist, wenn er strikt gewaltfrei bleibt!
Die Verhinderung des Luft-Boden-Schießplatzes kann nach Lage der Dinge politisch nur gelingen, wenn der Bundesminister der Verteidigung das Projekt von sich aus stoppt oder wenn eine Mehrheit im Bundestag es aus dem vom Parlament gebilligten Truppenübungsplatzkonzept von 1992 herausnimmt. Davon sind wir noch weit entfernt. Aber die Erfahrung mit dem Kurswechsel einer Grossen Koalition in Brandenburg zeigt, dass man auch offen bleiben muss für das Unerwartete.
Unsere Bürgerinitiative, die inzwischen regional von der Brandenburger Unternehmerinitiative Pro Heide und in Mecklenburg-Vorpommern von der Bürgerinitiative FREIER HIMMEL tatkräftig unterstützt wird, tut jedenfalls gut daran, weiterhin auf die eigene Stärke zu vertrauen und unverdrossen Bündnispartner im gesellschaftlichen Raum, auch auf Bundesebene, zu suchen. Selbst wenn wir die äußersten Anstrengungen unternehmen um unsere Ziele zu erreichen, müssen wir uns – frei nach Luther – immer wieder klarmachen: der Rest ist Gnade.
Meine Damen und Herren,
Sie werden sich vielleicht fragen, wie es gelingen konnte, dass einfache Bürgerinnen und Bürger in einer dünn besiedelten Region nun schon fast 15 Jahre lang ihre Heimat erfolgreich gegen ein Großprojekt des Staates verteidigen?
Dass sie dabei sogar Macht ausüben?
Denn wenn Macht die Fähigkeit ist, einen anderen auch gegen seinen Willen zu einem Tun, Dulden oder Unterlassen zu bringen, dann haben die Bürgerinitiative FREIeHEIDe und ihre Bündnispartner, auch wenn der volle Erfolg noch nicht eingetreten ist, Macht entfaltet: vier Verteidigungsminister unterschiedlicher Couleur mussten es bisher unterlassen, ein von ihnen als hochrangig eingestuftes Vorhaben zu verwirklichen.
Der Fall Kyritz-Ruppiner Heide ist nicht ohne Beispiel.
Lassen Sie mich kursorisch zwei Fallstudien heranziehen, die für die FREIeHEIDe sozusagen Pate gestanden sind: Larzac und Wyhl.
Im Larzac, einer Hochebene hundert Kilometer nördlich von Montpellier, wollte die französische Regierung in den Siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts einen Truppenübungsplatz erheblich erweitern. Die Region lag Ihnen, meine Damen und Herren, vielleicht schon mal auf der Zunge: in Gestalt des würzigen Roquefort-Käses. Er wird aus Schafsmilch gewonnen und in den Felsen des Berges Combalon nahe dem Ort Roquefort zum Reifen gebracht.
Durch die Pläne der Zentralregierung, die auf Enteignung der Felder und des Weidegeländes hinausliefen, fühlten sich die Farmer in ihrer Existenz bedroht. Einige schon zum zweiten Mal in ihrem Leben. Hatten sie doch nach der Unabhängigkeit Algeriens dort ihre Farm verloren und im Larzac eine neue Existenz aufgebaut.
Inspiriert durch Lanza del Vasto, der eine Zeit lang Mitstreiter Gandhis in Indien war und danach in Südfrankreich die „Gemeinschaft der Arche“ gestiftet hatte, entwickelte die verschworene Gemeinschaft von 103 Farmern eine mit bäuerlicher List gepaarte, gewaltfreie Widerstandsstrategie. Ganz Frankreich lachte über die Schafe aus dem Larzac, die, bei Nacht und Nebel nach Paris verfrachtet worden waren und auf dem Marsfeld unter dem Eiffelturm grasten. Dort hatten die Hauptstadt-Flics ihre liebe Not mit den dort nicht vorgesehenen Viechern, derweil die Larzacbauern in den umliegenden Bistros saßen und sich ins Fäustchen lachten. Die Medien hatten eine gute Story und verhalfen dem Kampf des Larzac zu landesweiter Aufmerksamkeit und Sympathie.
Das Hochplateau des Larzac wurde schließlich eine Pilgerstätte für Hunderttausende von Franzosen und anderen Westeuropäern, viele von ihnen auf der Suche nach alternativen Lebens- und Gesellschaftsentwürfen. Die Aktionen der Larzacbauern und ihrer Bündnispartner waren fantasievoll, witzig und tiefgründig. So pflügten sie Felder um, die bereits von der Regierung enteignet waren, säten und ernteten darauf Getreide. Das waren zwar Akte des zivilen Ungehorsams, aber die Polizei wagte nicht dagegen vorzugehen, nachdem der Widerstand der verschworenen Gemeinschaft der 103 Farmer mittlerweile zur nationalen Legende geworden war. An ihr kam niemand vorbei, der im links-alternativen Spektrum was werden wollte- auch eine Art von Machtentfaltung. So hielt es der Präsidentschaftskandidat Mitterand für ratsam, zum Hochplateau des Larzac zu pilgern und zu versprechen, als Präsident die Militärpläne zu stoppen.
Und er hat Wort gehalten. Für ihn war das – anders als bei Scharping- eine Frage der Ehre.
Am 10.5.1981 wurde Mitterand zum Präsidenten gewählt, am 3.6.1981 bestätigte die neue Regierung Mauroy offiziell ihren Verzicht auf das Erweiterungsprojekt.
Meine Damen und Herren,
Wyhl am Kaiserstuhl ist wahrscheinlich im westdeutschen nationalen Gedächtnis noch so stark verankert, dass ich dazu nicht allzu viel sagen muss
Nur so viel:
Das Badenwerk, ein machtvolles Energieversorgungsunternehmen, wollte am Oberrhein ein Atomkraftwerk errichten. Anfang 1975 war ein Teil des Auewaldes schon gerodet, die Baumaschinen standen bereit. Das Komitee der badisch-elsässischen Bürgerinitiativen rief zum gewaltfreien Widerstand auf. Eine 9 Monate andauernde Bauplatzbesetzung führte schließlich zum Nachgeben der Betreiber. Der damalige Ministerpräsident Filbinger hatte kurz zuvor noch prophezeit: „Wenn Wyhl nicht gebaut wird, gehen in Baden-Württemberg die Lichter aus“. Nun aber sah sich die Landesregierung genötigt, alle Aktionen des zivilen Ungehorsams straffrei zu stellen. Außerdem wirkte die Landesregierung auf das Badenwerk und seine Subunternehmer ein, auf eventuelle Schadensersatzansprüche gegen die Akteure des Widerstands zu verzichten.
Der Nährboden des lang anhaltenden Widerstands war auch in Wyhl die Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz. Durch die Kühlturmnebel hätte sich das Kleinklima im Weinbaugebiet erheblich verändert. Der Wein, Wirtschaftsgrundlage der Kaiserstühler, wäre nicht mehr als „von der Sonne verwöhnt“ vermarktbar gewesen.
Als starke Antriebskraft kam die Sorge um Gesundheit und Leben hinzu. Im Nahbereich von atomaren Anlagen nahm die Krebshäufigkeit, insbesondere Leukämie bei Kindern, zu, was auf die regelmäßige Niedrigstrahlung und deren Anreicherung über die Nahrungskette im Körper zurückgeführt wurde.
Beide Motive erklären die Hartnäckigkeit und Unbeugsamkeit des Widerstands einer ganzen Region.
Die Alemannen im „Dreyecksland“ Elsaß, Baden und Schweiz trotzten im nasskalten, frostklirrenden Winter Wasserwerfern, ließen sich von Strafverfolgung und Disziplinarmassnahmen nicht beeindrucken. Sie schufen eine Widerstandskultur ohnegleichen, die an regionale Traditionen anknüpfte, die“ Muodersproch“ wieder belebte,eigene Institutionen schuf wie die Volkshochschule Wyhler Wald und schließlich, nach ersten tastenden Versuchen heimischer Erfinder, Anlagen für erneuerbare Energien den Weg ebnete.
Im Widerstand gegen den Luft-Boden-Schiessplatz in der Kyritz - Ruppiner Heide finden sich viele Komponenten aus dem Larzac und aus Wyhl wieder.
Das ökonomische Interesse, die Sorge um Gesundheitsschäden, hier hervorgerufen durch Tieffluglärm, Entwicklung einer spezifischen Widerstandskultur und schließlich die Schaffung neuer Institutionen. Zu den letzteren gehört die Friedenspfarrei, die von Pfarrer Benedikt Schirge, als langjähriger Sprecher unserer Bürgerinitiative das „Gesicht“ der FREIe(n)HEIDe, wahrgenommen wird.
Wolfgang Hertle, Friedensforscher und Mitstreiter der FREIe(n)HEIDe (aus Hamburg) von Anfang an, hat in seiner Fallstudie zum Larzac die „soziale Dichte“ als ein weiteres Merkmal eines lang anhaltenden erfolgreichen Widerstands herausgearbeitet:
Darunter versteht er „die räumliche Nähe, die gemeinsame Bedrohung der Betroffenen von außen, die gemeinsam vollzogenen Bewusstseins- und Lernprozesse und die Möglichkeit in direkter Demokratie kollektiven Willen zu bilden“- ein Merkmal das in der Kyritz-Ruppiner Heide erfüllt ist. Insbesondere beschleunigt die Teilnahme an dieser Art von Widerstand das Lernen enorm. Im Larzac und in Wyhl, erst recht aber in der Kyritz - Ruppiner Heide hat sich gezeigt: das was in kurzer Zeit über Demokratie und Rechtsstaat erfahren wurde, hätte in dieser Intensität und Geschwindigkeit auf keiner juristischen oder politologischen Fakultät gelernt werden können. Auf dem Gebiet der ehemaligen DDR hat das eine besondere Bewandtnis, weil die Gewährleistungen und die Institutionen westlicher Demokratien für Viele Neuland waren, für manche mit hohen Erwartungen, für andere mit großer Skepsis verbunden.
Wo es um Selbstbehauptung angesichts der Bedrohung von außen ging, wurden die Möglichkeiten und Grenzen der bundesdeutschen Rechtsordnung und repräsentativen Demokratie rasant schnell erkannt.
Das besondere an der FREIe(n)HEIDe im Vergleich zu den Fallstudien aus dem Westen ist, dass viele Mitstreiterinnen und Mitstreiter Erfahrungen mit dem durch die Bürgerbewegung erzwungenen gewaltfreien Systemwandel einbringen konnten.
Reinhard Lampe, der erste Sprecher der Bürgerinitiative und Urheber des Labels FREIeHEIDe, war in der Wendebewegung Mitglied von „Demokratie jetzt“ und lange zuvor schon durch eigene Aktionen ausgewiesener Gegner des DDR-Systems.
Die Erfahrungen mit dem Leben in der DDR und in der Wendezeit führten und führen bei vielen der Aktiven zu Unerschrockenheit, großem staatsbürgerlichen Selbstbewusstsein und souveräner Distanz sowohl zum Gegner wie zum eigenen Tun.
Die Ärztin Friederike Lampe, Ehefrau von Reinhard Lampe, beschreibt diese besondere Note im Buch „Bürgerinitiative FREIeHEIDe“ (Berlin 2000, Espresso-Verlag; inzwischen vergriffen) unter der Überschrift „das war der Anfang“ wie folgt:
„Was ich nicht wollte, war ein bedeutungsschweres, humorloses, fanatisches, kämpferisches ‚nun zeigen wir es denen mal’. Und dazu gehört für mich auch die Sprachkultur jenseits von ‚Demo’ und ‚marschieren’… Ich stellte mir immer wieder die Frage, wofür anstelle wogegen wollen wir aktiv werden. Und da fiel uns – übrigens während eines Spaziergangs! – eine Menge ein: Wir haben diesen Schatz einer wunderschönen Landschaft, also warum nicht beim miteinander Gehen oder Wandern uns dessen erfreuen. Wir haben alte Dörfer mit ihrem jeweils eigenen Charakter, mit ihren von den Vorfahren selbst erbauten Kirchen. Und dort ist ein guter Ort für den Beginn. Ein Ort zum Musizieren, für gute Gedanken, für Informationen und für alle, die es wollen, ein Ort für den Segen. Also, wie wäre es, wenn wir uns am immer gleichen Sonntag im Monat in der jeweiligen Kirche versammelten und von dort aus zur Schiessplatzgrenze wanderten? Ringsherum? Und, wenn nötig, nach einem Jahr wieder beim Ausgangsdorf anfangen? Damit war das Motto klar: Auf dem Weg zur FREIenHEIDe.“(aaO S.20).
In dieser Art kreativer Reflexion wurden als weiteres Markenzeichen der FREIeHEIDE-Kultur die Mahnsäulen erfunden. Sie haben inzwischen das Bombodrom wie Totempfähle umzingelt.
Wie die Mahnsäulen so gehören die geistlichen Besinnungen in den meist aus Feldsteinen gebauten märkischen Kirchen inzwischen zum festen Bestand des Protests.
Dabei wurde meist Klartext gesprochen.
Stellvertretend für viele vortreffliche Redner zitiere ich den langjährigen Leiter des Predigerseminars Templin, Pfarrer Horst Kasner:
„Wir erinnern uns: Als die Mauer fiel, da riefen die Menschen in Berlin: ‚W a h n s i n n!’
Verständlich. Doch eigentlich hätten sie rufen müssen: ‚Endlich Normalität!’ Inzwischen ist uns längst bewusst geworden: Offene Grenzen – das ist normal. Zu DDR-Zeiten aber hatten wir uns nach Jahrzehnten des Eingesperrtseins an diesen Zustand gewöhnt; hielten die Mauer für etwas Normales. … Die Anpassung an das Gegebene scheint normal zu sein. Und darum bedarf es immer wieder der Aufforderung (die Paulus an die Gemeinde in Rom gerichtet hat):’Lasst Euch nicht gleichschalten dieser Weltzeit, lasst Euch vielmehr umgestalten durch die Erneuerung des Denkens’. Dieser ehemalige ‚Kriegsschauplatz’ in der Kyritz-Ruppiner Heide muss nun wieder eine normale Landschaft werden. Wer das fordert, ist normal. Und wer hier Bomben abwerfen will, ist wahnsinnig. Nun gibt es Leute, die argumentieren: So lange es die Bundeswehr gibt, muss es militärische Übungen geben; Schiessen und Bombenabwurf. Sie halten das für normal. … Ich behaupte, das Argument, militärische Kriegsübungen müssen sein, das ist der Wahnsinn der Normalität“. (Großer Beifall).
Meine Damen und Herren,
Ihr Beifall gebührt Horst Kasner, dem Vater unserer Bundeskanzlerin. Lässt das nicht hoffen? Den vollen Wortlaut seiner Rede zur 23. Protestwanderung am 4. September 1994 finden Sie auf der Homepage der Bürgerinitiative FREIeHEIDe (www.freieheide.de).
1992, als deutsche Sanitätssoldaten nach Kambodscha geschickt wurden und damit (wenn man die Minensucher- Mission von 1990 im Persischen Golf nicht mitzählt) erstmals ein out-of - area - Einsatz der Bundeswehr gewagt wurde, jubelte die Zeitschrift des Bundeswehrverbands auf der Titelseite: „Normal werden in Kambodscha!“
Es folgten die Einsätze in Somalia und Bosnien Herzegowina: vorwiegend mit logistischen aber auch darüber hinausgehenden Aufgaben.
Nebenzweck dieser zunächst als humanitär vermittelten Einsätze war erklärtermaßen (vgl. Rolf Clement: „Die neue Bundeswehr als Instrument deutscher Außenpolitik“ in Aus Politik und Zeitgeschichte, Nr. 11 2004, 08.03.2004) das behutsame Heranführen der deutschen Bevölkerung an die „Normalität“ der Beteiligung deutscher Streitkräfte an internationalen Kampfeinsätzen.
1999 wurde der Rubikon überschritten, als deutsche Kampfbomber im Rahmen der NATO in Jugoslawien Krieg führten, im Klartext: aus hoher Distanz töteten.
Von da an gibt es kein Halten mehr. Dort, wo sich die Deutschen bei internationalen Operationen wie in Afghanistan Selbstbeschränkungen auferlegen wollen, finden sie kein Verständnis mehr bei den „Waffenbrüdern“. Deren Devise heißt nun: „Die Deutschen müssen das Töten lernen“ (Zitat und Titel DER SPIEGEL Nr.47 vom 20.11.06).
Mit der offensichtlich bevorstehenden Entsendung deutscher Tornados nach Afghanistan wird nun erneut die rote Linie hin zur Beihilfe zu Kampfeinsätzen überschritten. Denn die von den deutschen Aufklärungsflugzeugen gelieferten Daten werden Kampfhandlungen verbündeter Streitkräfte am Boden und aus der Luft optimieren, bei denen viele Menschen verbrannt, verschüttet, verstümmelt werden.
Warum lautet die deutsche Antwort auf das alliierte Drängen zur Beteiligung an „normalen“ Kampfeinsätzen nicht:
„Deutsche töten keine Afghanen“?
Würde das nicht die Sicherheit der im Norden stationierten Bundeswehrangehörigen und der Aufbauprojekte eher erhöhen als die angeblich auch ihrer Sicherheit dienenden Aufklärungsdaten der Tornados?
Aber Deutsche beteiligen sich nicht nur indirekt am Töten, sie haben es bisher schon mit ihren geheimnisumwitterten Spezialkräften direkt getan.
Soldaten üben das Töten und Krieg fängt mit Üben an. Schon jetzt donnern Kampfjets der Bundeswehr, auch Tornados, im Tief- und Tiefstflug über Rheinsberg.
Mit unserem ungebrochenen Widerstand gegen den Luft-Boden-Schiessplatz wollen wir den Trend umkehren, der in den Wahnsinn führt.
Wir laden Sie alle ein zum Mitmachen. „Normal werden in der Kyritz-Ruppiner Heide“ bedeutet für uns: lasst uns das ehemalige Militärgelände zivil umwandeln und möglichst viele Menschen für eine umfassende Umkehr zum Zivilen gewinnen!