1. Lesung

Redeprotokoll zum Gruppenantrag im Bundestag

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 10 a und 10 b auf:
(...)
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Winfried Nachtwei, Ernst Bahr, Silvia Voß und weiterer Abgeordneter
Zivile Nutzung der Kyritz-Ruppiner Heide
- Drucksache 14/5876 -

Überweisungsvorschlag:
Verteidigungsausschuss (f)
Ausschuss für Angelegenheiten der neuen Länder
Ausschuss für Tourismus

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. - Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Vizepräsidentin Petra Bläss:
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt der Kollege Winfried Nachtwei.

Winfried Nachtwei (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Heute debattieren wir zwei Gruppenanträge, die sich gegen die militärische und für die zivile Nutzung wertvoller Landschaf ten einsetzen und die von bemerkenswert vielen Abgeordneten dieses Hauses unterstützt werden.
(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)
Ich brauche es gar nicht besonders zu betonen, tue es aber sicherheitshalber trotzdem: Die Antragsteller wenden sich nicht gegen die Bundeswehr und die US-Streitkräfte. Sie bestreiten auch nicht deren Übungsbedarf. Allerdings bekräftigen wir die eigentlich selbstverständliche demokratische und rechtsstaatliche Position, dass militärische Nutzungs- und Übungsansprüche rechtmäßig sein müssen, dass sie für die Einsatzbereitschaft der Streitkräfte unbedingt notwendig und für die betroffenen Gemeinden und Anwohner zumutbar sein müssen. Die Anträge bestreiten dies im Fall dieser beiden Übungsplätze.
Wegen der Kürze meiner Redezeit muss ich mich auf den Antrag zur Kyritz-Ruppiner Heide konzentrieren. Der Streit um die militärische Nutzung der Heide befindet sich nun im zehnten Jahr. Wie das Bundesverwaltungsgericht Ende 2000 entschied, hat die Bundeswehr bisher kein militiärisches Nutzungsrecht an der Heide. Sie muss es in korrektem Verfahren zu erwerben versuchen.

An dieser Stelle will ich nur etwas zur politischen Dimension sagen. Die erste Frage ist folgende: Ist die militärische Nutzung der Kyritz-Ruppiner Heide als Luft-Boden-Schießplatz für die Einsatzfähigkeit der Bundeswehr zwingend notwendig? Bisher ist die Bundeswehr - das muss man ganz lakonisch feststellen - ohne diesen Luft-Boden-Schießplatz ausgekommen. Im Jahr 2000 wurden dort etwas mehr als 10 Prozent der innerdeutschen Luft-Boden-Einsätze der Bundeswehr geflogen. In 2001 gab es keine Einsätze. Ich kann mich nicht erinnern, von irgendeinem Hinweis oder irgendeiner Warnung gehört zu haben, die Einsatzfähigkeit der Bundesluftwaffe habe sich im letzten Jahr verringert. Darüber hinaus ist festzustellen, dass die Zahl der Übungseinsätze in den letzten Jahren immer mehr zurückgegangen ist. Bei der letzten Überarbeitung des Truppenübungsplatz-Nutzungskonzepts im Jahre 1999 sind auf deutschen Übungsplätzen noch insgesamt 7 200 Einsätze von alliierten und deutschen Flugzeugen eingeplant worden. Real wurden im Jahre 2000 nur 2.200 Einsätze geflogen. Bei der Bundeswehr war gegenüber dem Vorjahr ein Rückgang um 21 Prozent zu verzeichnen. Wenn wir nach vorne schauen, so ist festzustellen, dass der Übungsbedarf angesichts der Umrüstung der Bundesluftwaffe auf Distanzbewaffnung usw. noch weiter zurückgehen wird. Ich komme aus Westdeutschland und kenne sehr wohl die Lärmlast, die von dem Luft-Boden-Schießplatz im Raum Nordhorn ausgeht und von den dortigen Anliegern zu tragen ist. Ich weiß sehr wohl, dass wir alles unternehmen müssen, um die dortige Belastung zu reduzieren.

(Zuruf von der CDU/CSU: Wie denn?)

In diesem Zusammenhang wird allerdings immer wieder das Argument angeführt, die Lärmlasten sollten doch gerecht verteilt werden. Das klingt zunächst einmal plausibel. Wenn man aber etwas genauer hinsieht, stellt man fest, dass sich die Situation völlig anders darstellt; denn die Region um die Kyritz-Ruppiner Heide wurde - das wissen wir alle - von den sowjetischen Luftstreitkräften mit mehr als 20.000 Einsätzen pro Jahr über Jahrzehnte in extremer Weise militärisch genutzt. Wer das Gebiet besucht, wird feststellen, dass es wohl in der gesamten Bundesrepublik kein Gebiet gibt, das durch Übungsbetrieb so verschandelt worden ist wie die dortige Gegend. Bereits aufgrund dieser jahrzehntelangen extremen Lärmbelastung ergibt sich für die Antragsteller zwangsläufig ein Anspruch auf eine ruhigere Entwicklung in der dortigen Region.

(Dr. Hermann Kues [CDU/CSU]: Wissen Sie, dass die Belastung in Nordhorn schon viel länger andauert?)

Was die wirtschaftlichen Entwicklungschancen angeht, so gibt es wohl einige Hoffnungen in Richtung Garnison. Allerdings muss man im Hinblick auf die Kassen des Verteidigungshaushalts und auch auf die Geschichte des Standortes Eggesin vor diese Hoffnungen erhebliche Fragezeichen setzen. Wir Antragsteller befürchten allerdings, dass der Luft-Boden-Schießplatz Wittstock die Chancen für eine eigenständige Entwicklung der Region in Richtung eines sanften Tourismus blockieren wird. Im Sommer 1996 besuchte ich als Abgeordneter aus Westdeutschland erstmalig die Kyritz-Ruppiner Heide. Ich lernte damals die wirklich faszinierende Landschaft und die dortige Bürgerbewegung mit ihrer Herzlichkeit, Überzeugungskraft und demokratischen Hartnäckigkeit kennen.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)

Dort erfuhr ich, dass es bei dem Streit um die militärische oder zivile Nutzung der Kyritz-Ruppiner Heide auch sehr stark um die Glaubwürdigkeit von uns Politikern geht. Was gelten unsere Worte? Ich meine, es würde die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland nicht beeinträchtigen, wäre aber ein Zeichen von Realismus, Klugheit und Souveränität, wenn das Bundesministerium der Verteidigung den Weg für eine zivile Nutzung der Kyritz-Ruppiner Heide frei machen würde. Danke schön.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Petra Bläss:
Zu einer Kurzintervention erteile ich dem Kollegen Hartmut Koschyk das Wort.

Hartmut Koschyk (CDU/CSU):
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen! Der Antrag mit dem Titel "Zivile Nutzung der Kyritz-Ruppiner Heide", zu dem der Kollege Nachtwei gerade gesprochen hat, nimmt auch auf die Auswirkungen der dort geplanten Stationierung auf andere Bundeswehrstandorte in Deutschland Bezug. Wörtlich heißt es in dem Antrag:
Angesichts der aus dem Stationierungskonzept resultierenden Standortreduzierungen und -schließungen und des Interesses der Bundeswehr an Rationalisierungsgewinnen erscheint die Errichtung einer neuen Garnison nicht rational und höchst unwahrscheinlich. Zugleich wäre es anderen Bundeswehrstandorten nur schwer vermittelbar, wenn sie im Zuge der Umstrukturierung schließen müssten, während im Raum Wittstock eine neue Garnison entstehen würde.
Ich kann diese Aussage nur voll und ganz unterstützen, weil die dort geplante Investition - nach Aussagen von Frau Staatssekretärin Schulte sind dafür mindestens 214 Millionen DM vorgesehen - dazu führen wird - der Zusammenhang ist im Bundestag bereits mehrfach deutlich geworden -, dass ein völlig intakter Bundeswehrstandort mit einem solchen Ausbildungsbataillon der Luftwaffe in meinem Wahlkreis Bayreuth geschlossen werden soll. Dort gibt es eine Bürgerinitiative, die eine Sammelpetition mit gegenwärtig 25.000 Unterschriften für den Erhalt des dortigen Bundeswehrstandortes für den Bundestag vorbereitet. - Ich konnte mich in der vergangenen Woche bei einem parlamentarischen Abend, den die Kollegen Bahr und Nachtwei mit Vertretern aus der Region in Berlin durchgeführt haben, davon überzeugen. - Das halte ich für ein großes Problem. Angesichts des wackeligen rechtlichen Fundaments, auf dem die Nutzungsabsichten für diesen Truppenübungsplatz stehen,

(Zuruf von der SPD: Das ist keine Kurzintervention! Das ist eine Rede!)

und der Niederlage erster Sahne - um es so salopp zu formulieren -, die das BMVg in dieser Frage vor dem Bundesverwaltungsgericht eingesteckt hat, frage ich mich, ob es - auch angesichts des Widerstands, den es dort in der Bevölkerung gibt - wirklich richtig und sinnvoll ist, an einem solchen Vorhaben, das auch mit sehr großen verwaltungsgerichtlichen Unwägbarkeiten verbunden ist, festzuhalten.

Vizepräsidentin Petra Bläss:
Herr Kollege Koschyk, das war hart an der Grenze, weil es eigentlich eine Kurzintervention zur Rede des Kollegen Nachtwei hätte sein müssen. Ich hatte aber das Gefühl, dass Sie eher einen Debattenbeitrag gebracht haben.

(Zuruf von der SPD: Auf den Antrag hat er sich bezogen, aber nicht auf die Rede!)

Herr Kollege Nachtwei, Sie haben trotzdem, da Sie noch einmal angesprochen wurden -

(Abg. Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] winkt ab)

- Sie machen keinen Gebrauch davon. - Dann hat als nächster Redner der Kollege Niebel das Wort.

Dirk Niebel (FDP):
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich habe die Aufgabe, in dreieinhalb Minuten zu beiden Anträgen zu sprechen. Deswegen werde ich versuchen, mich auf das Wesentliche zu konzentrieren.
Es handelt sich tatsächlich um zwei Gruppenanträge aus der Mitte dieses Hauses, mit denen darauf hingewirkt werden soll, dass bestimmte Gebiete nicht mehr militärisch genutzt werden. Jedoch sind die beiden Anträge sehr unterschiedlich zu bewerten.
(...)
Wir befassen uns aber auch mit dem zweiten Gruppenantrag zu der Kyritz-Ruppiner Heide und dem geplanten Bombenabwurfzentrum in Wittstock, den der Kollege Nachtwei im Wesentlichen zum Thema seiner Rede gemacht hat. Zwar muss festgestellt werden, dass es tatsächlich eine große Bürgerbewegung gegen diese militärische Einrichtung gibt, aber es gibt auch eine große Bürgerbewegung für diese Einrichtung.

(Paul Breuer [CDU/CSU]: Sehr richtig! - Widerspruch bei der PDS - Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das heißt, Sie sind für dieses Bombodrom!)

Sie liegt in einem derartig strukturschwachen Gebiet, dass der überwiegende Teil der Bevölkerung in und um Wittstock mittlerweile für diese militärische Einrichtung ist, damit die Arbeitsplätze gesichert und neue Arbeitsplätze geschaffen werden.

(Paul Breuer [CDU/CSU]: So ist es!)

Es ist nicht in Ordnung, dass hier versucht wird, einen Standort in Deutschland gegen den anderen auszuspielen. Es kann doch wohl nicht sein, dass Sie, Kollege Nachtwei, sich einerseits in Nordhorn für eine Entlastung der Bevölkerung einsetzen, wobei diese Entlastung aber nur möglich wäre, wenn in Wittstock geflogen werden kann,

(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt nicht! Ich habe doch schon die Zahlen genannt! - Paul Breuer [CDU/CSU]: So was nennt man "Sankt-Florians-Prinzip"!)

und andererseits hier einen Antrag unterstützen, der dazu dienen soll, dass Wittstock niemals in Betrieb gesetzt werden kann. Wenn Sie sich mit diesem Gruppenantrag durchsetzen könnten, hätte das die Konsequenz, dass in Nordhorn-Range, übrigens nur eine Flugminute vom Atomkraftwerk Lingen entfernt, weiter in gleichem Umfang Bomben abgeworfen würden, wie das in der Vergangenheit der Fall war.

(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt nicht! Schon in den letzten Jahren ist das in Nordhorn zurückgegangen!)

Diese Region ist deutlich mehr belastet gewesen, als es für Wittstock geplant ist. Wittstock hat unter der Sowjetarmee gelitten, die dort mit 18.000 bis 20.000 Einsätzen pro Jahr geübt hat. Die Planungen der Bundeswehr sehen nach meinem Kenntnisstand ungefähr 3.000 Einsätze pro Jahr vor. Das ist eine deutliche Entlastung gegenüber dem, was dort über Jahrzehnte stattgefunden hat.

(Paul Breuer [CDU/CSU]: Das ist Übungsbetrieb, keine scharfen Bomben! - Gegenruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Nein, eine deutliche Verschlechterung gegenüber heute!)

Im Verhältnis zu der Chance, durch Tourismus Arbeitsplätze zu entwickeln - in der unmittelbaren Nachbarschaft, in Goldberg, haben wir gesehen, dass es nicht funktioniert hat -, ist die Chance, Arbeitsplätze zu haben, die es den Betreffenden ermöglichen, an unserem gesellschaftlichen Leben teilzuhaben, für die Menschen in der Kyritz-Ruppiner Heide die wichtigere. Deswegen bitte ich Sie, den Gruppenantrag zu Wittstock nach den Ausschussberatungen abzulehnen. (...) Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Petra Bläss:
Zu einer Kurzintervention erteile ich jetzt der Kollegin Sylvia Voß das Wort.

Sylvia Voß (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Herr Niebel, Sie haben es schon angesprochen: Es ist eine strukturschwache Region. Es ist aber auch - das sage ich auch als tourismuspolitische Sprecherin meiner Fraktion - eine der schönsten Reise- und Ferienregionen, die Deutschland überhaupt zu bieten hat, nämlich die mecklenburgisch-brandenburgische Seenplatte.

(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der SPD und der CDU/ CSU)

Genau dort, wo es einen Nationalpark gibt, wo es Naturparke gibt, wo der Tourismus neben der Landwirtschaft das stärkste Standbein ist - das hat sich in den letzten Jahren entwickelt -, würde es dann eine Einflugschneise geben. Auch wenn Sie hier vielleicht ein Beispiel oder zwei Beispiele anführen können, in denen das nicht funktioniert hat, kann ich Ihnen sagen: In der Region ist durch Eigeninitiative, durch Förderung der Kommunen und Kreise sowie auch der Länder Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg sehr viel im Tourismus entstanden. Angesichts dessen kann ich nicht verstehen, wie Sie das Arbeitsplatzargument ins Feld führen können. Die Planungshoheit der Gemeinden - das ist ein ganz wichtiges Argument; ich weiß nicht, wie man sich dem überhaupt verschließen kann - ist durch die Bundeswehr brutal ausgehebelt worden. Deswegen gibt es auch die Prozesse. Es ist nicht abzusehen, dass die irgendwann ein Ende finden; im Gegenteil: Die mecklenburgischen Kommunen und Kreise werden sich da möglicherweise auch noch einklinken. Aus meiner Sicht besonders schlimm ist die Irreführung, die in diesem Haus zum Teil stattfindet. Im Truppenübungsplatzkonzept spricht man nämlich davon, dass hier eine Garnison weitergeführt wird. Die Garnison Wittstock existiert überhaupt nicht. Dort stehen Ruinen. Ein Kollege hat schon gesagt, wie viel man dort investieren müsste.

(Beifall des Abg. Markus Meckel [SPD])

Als Letztes zum Lärm, den ein solcher Flugplatz macht. Sie können sich das hoffentlich vorstellen. Ich bin, ehrlich gesagt, entsetzt darüber, wie die Bundeswehr das einschätzt und was in dem Gutachten steht. In dem Gutachten heißt es lapidar, dass Tiefflug für den Tourismus keinerlei Beeinträchtigung bedeutet. Ich weiß nicht, ob Sie in einem Bett liegen möchten, über das ständig die Tiefflieger donnern, ob Sie in einer Gegend - ich sagte es schon: es ist eine der schönsten Regionen für Urlaub in Deutschland überhaupt - Urlaub machen, dort Ruhe und Erholung suchen möchten, wenn darüber die Tiefflieger fliegen.

(Dr. Hermann Kues [CDU/CSU]: Nordhorn ist auch sehr schön!)

Das Hotel- und Gaststättengewerbe wird dadurch existenziell bedroht. Das haut der gesamten Region das Standbein weg, auf dem sie jetzt noch steht.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der PDS sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Petra Bläss:
Herr Kollege Niebel zur Erwiderung, bitte.

Dirk Niebel (FDP):
Liebe Kollegin, Sie haben die Befindlichkeiten der Region angesprochen, aber nicht zur Kenntnis genommen, dass sie offenkundig unterschiedlich sind. Es gibt Befürworter und Gegner dieser Einrichtung. Daher machen Sie es sich zu leicht, wenn Sie von dieser Stelle aus lediglich erklären: Wir wollen diese Einrichtung nicht, weil wir Tourismus entwickeln wollen. Ich erinnere daran, dass in der unmittelbar benachbarten Region, in Goldberg, dieses Konzept grottenmäßig gescheitert ist. Dort sind Arbeitsplätze verloren gegangen und die Arbeitslosigkeit hat sich deutlich erhöht. Daher sind die Menschen, die um ihren Arbeitsplatz und ihre Existenz bangen, selbstverständlich sehr froh darüber, dass die Bundeswehr hier Arbeitsplätze schafft.

(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Paul Breuer [CDU/CSU])

Wenn Sie jetzt überall so tun, als könnte es trotz der immer wichtiger werdenden Rolle der deutschen Bundeswehr möglich sein, nur noch im Ausland zu üben, und den Menschen in Nordhorn-Range und in Wittstock Entlastung versprechen, hinterher aber unseren Verbündeten in Kanada und den USA den Fluglärm zumuten, dann ist dies eine Art von Politik, die vielleicht im grünen Hinterzimmer funktioniert,

(Beifall des Abg. Jürgen Koppelin [FDP])

nicht aber, wenn Sie weiterhin Regierungsverantwortung tragen wollen. Deswegen werden wir Sie davon auch entlasten. Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Paul Breuer [CDU/CSU])

Vizepräsidentin Petra Bläss:
Wir fahren in der Debatte fort. Nächster Redner ist der Kollege Wolfgang Gehrcke für die PDS-Fraktion.

Wolfgang Gehrcke (PDS):
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich werde die mir zur Verfügung stehenden drei Minuten nicht dazu benutzen, dem Parlament erneut meine Meinung zur Sicherheitspolitik der Bundesregierung vorzutragen.

(Gernot Erler [SPD]: Da sind wir aber dankbar!)

Sie kennen sie gut; manche meinen sogar, zu gut. Vielmehr möchte ich Ihnen näher bringen, was viele - Herr Niebel, selbstverständlich nicht alle - Menschen aus der betroffenen Region hoffen, denken und wünschen. Ich will also Mittler zwischen der Region und dieser Parlamentsdebatte sein. Ich lebe und arbeite in dieser Region und habe dort meinen Wahlkreis. Es ist eine Kulturregion, von deren Schönheit Sie sich entweder durch Augenschein oder dadurch überzeugen können, dass Sie Fontanes Schilderungen lesen.

(Beifall bei der PDS sowie der Abg. Sylvia Voß [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

In dieser Region ist der Übungsplatz eine offene Wunde; das muss man ehrlicherweise so benennen.

(Beifall bei der PDS)

Über Jahrzehnte waren die Menschen von den Bombenabwurfübungen der russischen Armee belastet - das ist hier schon gesagt worden -, wurde die Natur geschunden und wurden die Menschen durch Lärm und Gefährdung gequält. Selbstverständlich waren sie nach der deutschen Einheit fest davon überzeugt, dass mit diesen Bombenübungen Schluss sein werde und die Heide zivil werde. Etwas anderes konnten sich die Menschen gar nicht vorstellen. Auch das sollten Sie in Ihre Abwägung aufnehmen. Doch die Bundeswehr wollte auf den Platz nicht verzichten. Nun aber trat etwas Neues und Wichtiges ein: der große Zugewinn an Demokratie. Die Menschen konnten sich gegen das wehren, was die Bundeswehr dort machen wollte. Sie tun dies seit zehn Jahren - zivil, demokratisch, ideenreich, vor Ort, vor Gerichten, mit alternativen Konzepten, in ihren Gemeinden und kommunalen Parlamenten. Ein heutiger Verteidigungsminister und damaliger Kanzlerkandidat hat ihnen versprochen, wenn seine Partei an die Regierung komme, werde die Heide zivil. Nun ist sie an der Regierung und muss dieses Versprechen einlösen.

(Dr. Hermann Kues [CDU/CSU]: Das haben die allerdings überall gesagt!)

Es geht auch darum, dass die Demokratie nicht das Vertrauen der Menschen verliert.

(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ein zweites Argument: Selbstverständlich steht auch diese Region vor großen Problemen; die größten sind die Arbeitslosigkeit und der Mangel an Ausbildungsplätzen. Aber ich mache Sie darauf aufmerksam, dass von öffentlichen Haushalten und privaten Einrichtungen 5 Milliarden DM in die Region investiert wurden. Mit diesen Investitionen kann und soll sie ein guter Standort für Tourismus, Erholung, Bildung, Wissenschaft, qualifizierte Landwirtschaft und Mittelstand werden. Die Region befindet sich auf diesem Wege. Wenn aber wieder Bombenabwurf geübt wird, dann bricht all dies zusammen und dann zeigt sich, dass das Geld falsch investiert worden ist. Auch stehen die Menschen, die dort Immobilien besitzen, vor einer großen Entwertung ihres Eigentums.

(Dirk Niebel [FDP]: Die PDS als Grundbesitzerpartei!)

Auch das sollten Sie mit bedenken. Hinzufügen möchte ich, dass sich der Verteidigungsminister überlegen muss, ob er wirklich an diesem Platz festhält. Die Einwohner wollen ihn nicht, die Gerichte haben die militärische Nutzung untersagt, politische und Rechtsauseinandersetzungen stehen über Jahre ins Haus. Außerdem sollen dort 500 Millionen eingesetzt werden, während woanders Garnisonen geschlossen werden sollen; darüber sprach bereits Kollege Koschyk. Das alles passt nicht zusammen, das stellt doch kein Konzept dar. Abschließend ein Vorschlag zur Güte: Die Kolleginnen und Kollegen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen bitte ich - es liegt an ihnen -, dem Antrag, der aus ihren Reihen kommt, die Zustimmung zu geben. Der Antrag könnte aber auch für die Kolleginnen und Kollegen aus CDU/CSU und FDP interessant sein. Ich bitte sie daher, sich mindestens der Stimme zu enthalten. Die PDS wird selbstverständlich zustimmen. In diesem Falle hätte, weil es sich um einen Antrag aus der Regierungskoalition handelt, niemand sein Gesicht verloren; jeder hätte aber viel Geld gespart und die Region hätte gewonnen.

(Beifall bei der PDS)

Auf dieser Ebene kann man doch eine Politik der Vernunft machen, die allen nutzt, keinen etwas kostet und alle das Gesicht wahren lässt. Das ist dann auch ein sinnvolles Ergebnis, wenn die Menschen sehen, dass Demokratie etwas bewirkt. Lassen Sie uns in diese Richtung gehen! Herzlichen Dank.

(Beifall bei der PDS sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsidentin Petra Bläss:
Jetzt spricht der Kollege Ernst Bahr für die SPD-Fraktion.

Ernst Bahr (SPD):
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Zunächst möchte ich zu Herrn Niebels Äußerungen kurz Stellung nehmen. Herr Niebel, ich verstehe, dass Sie Ihre Betroffenheit zum Viernheimer Wald bei Heidelberg hier zum Ausdruck bringen. Das ist legitim und in Ordnung. Ich glaube aber, Ihre Äußerungen haben deutlich gemacht, dass Sie nicht wissen, worum es bei der Region, von der ich jetzt sprechen werde, geht; denn sonst würden Sie nicht solche Äußerungen dazu machen.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN - Dirk Niebel [FDP]: Fragen Sie mal den Bürgermeister von Wittstock!)

- Das ist die einzige Legitimation, mit der Sie hier sprechen: dass Ihr FDP-Kollege Herr Scheidemann, der Bürgermeister von Wittstock, ein Interesse daran hat, dass seine Stadt die wirtschaftliche Förderung erhalten kann.

(Dirk Niebel [FDP]: Mit der Position ist er gewählt worden! Hätten die Menschen das nicht gewollt, hätten sie ihn nicht gewählt!)

Das ist auch legitim. Ich werde Ihnen aber gleich meine Meinung dazu sagen; vielleicht verstehen Sie dann unsere Position etwas besser. Die Bundeswehr ist eine demokratisch legitimierte Armee der Bundesrepublik Deutschland. Sie hat ihren Platz im Rahmen der Europäischen Union und der NATO. Von ihrem ursprünglichen Auftrag der Verteidigungsarmee wendet sie sich mehr und mehr friedenssichernden und friedenserhaltenden Aufgaben zu. Bekanntermaßen erfüllt sie diese Aufgaben im Rahmen des Bündnisses über die Landesgrenzen hinaus. Nach wie vor benötigt die Bundeswehr Übungsplätze, um den an sie gestellten Anforderungen gerecht werden zu können. Die eingangs erwähnte veränderte Auftragslage der Bundeswehr stellt aber die Notwendigkeit einer erweiterten Zahl an zu übenden Bombenabwürfen infrage. (Paul Breuer [CDU/CSU]: Was? Wer hat Ihnen das denn aufgeschrieben?)

- Das ist in der Tat so. Herr Nachtwei hat dazu ja schon etwas gesagt. Aber gerade so lautet die Begründung für die militärische Nutzung des Truppenübungsplatzes in der Kyritz-Ruppiner Heide. Vom Übungsinhalt und vom Übungsauftrag her ist dieser Platz folglich nicht notwendig.

(Paul Breuer [CDU/CSU]: Kollege Kolbow wird Ihnen etwas anderes sagen!)

Aus Sicht der Lastenverteilung der militärischen Übungen zwischen Ost und West ist Brandenburg überproportional betroffen. Was allerdings die Belastung der Bevölkerung in der Umgebung des Truppenübungsplatzes betrifft, so hat diese in 40-jähriger Nutzung durch die Sowjetarmee und den Warschauer Vertrag Risiken und Gefahren aushalten müssen, wie sie an keinem Standort der Alliierten in der ehemaligen Bundesrepublik vorgekommen sind.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

Die Menschen in dieser Region kämpfen seit zehn Jahren für die zivile Nutzung dieser Fläche.

(Paul Breuer [CDU/CSU]: "Die Bevölkerung" stimmt nicht, das wissen Sie doch!)

Die vielen Veranstaltungen, die die Bürgerinitiative "Freie Heide" durchführt und die eindrucksvoll dokumentieren, wie die Menschen zu diesem Platz stehen, zeigen, wie die Interessen dort liegen. Ich möchte der Bürgerinitiative "Freie Heide" an dieser Stelle recht herzlich für ihr Engagement und für ihren Kampf danken.

(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der PDS)

Vizepräsidentin Petra Bläss:
Herr Kollege Bahr, es gibt eine Zwischenfrage des Kollegen Niebel. Lassen Sie die zu?

Ernst Bahr (SPD):
Ja, gern.

(Wilhelm Schmidt (Salzgitter) [SPD]: Das muss doch nicht sein, Herr Niebel! Das ist doch rechthaberisch!)

Dirk Niebel (FDP):
Herr Kollege Bahr, Sie sprechen die ganze Zeit davon, dass "die Bevölkerung" etwas möchte. Sie haben eben selbst den Bürgermeister von Wittstock angesprochen, der gerade wieder gewählt worden ist. Er ist mit der Position des Erhalts und des Ausbaus der militärischen Einrichtungen des Übungsplatzes in den Wahlkampf gegangen und mit dieser Position von den Bürgerinnen und Bürgern gewählt worden. Stimmen Sie mir zu, dass "die Bevölkerung" als einheitliche Gruppe, wie Sie sie hier schildern, unter diesen Voraussetzungen offenkundig nicht existiert?

Ernst Bahr (SPD):
Dem muss ich widersprechen, Herr Niebel. Sie sprechen von der Stadt Wittstock. Dort gibt es in der Tat eine Zustimmung zur militärischen Nutzung des Truppenübungsplatzes. Das ist aber nur ein Teil der Bevölkerung, die betroffen ist. Wittstock hat bei einer militärischen Nutzung keine Belastung, sondern ausschließlich einen Nutzen zu erwarten. Das ist eine sehr egoistische Sicht, die ich als Vertreter der Gesamtregion nicht unterstützen kann.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Es ist nämlich so, dass über die zehn Jahre seit 1992 ein Rechtsstreit zwischen den Anrainergemeinden und den privaten Anliegern einerseits und dem Bundesverteidigungsministerium andererseits besteht. Nach Einschätzung von Fachleuten kann diese Auseinandersetzung noch etwa 10 bis 15 Jahre dauern. Das kostet nicht nur Geld, sondern auch viel wertvolle Zeit. Dies ist zum einen Zeit, während der die Bundeswehr den Platz nicht nutzen kann, und zum anderen Zeit, die der wirtschaftlichen Entwicklung dieser strukturschwachen Region nicht zugute kommt. Dabei ist davon auszugehen, dass die Bundeswehr, wenn sie ihre Zugeständnisse an die Befürworter des Truppenübungsplatzes umsetzen würde, nahezu ausschließlich der Stadt Wittstock eine Unterstützung geben würde, während die Anrainergemeinden die Belastungen zu tragen hätten.

(V o r s i t z: Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms)

Hinzu kommt, dass zum Beispiel die Qualität der Kultur- und Tourismusstadt Rheinsberg mit seiner Bundesmusikakademie und mit der Kammeroper durch die Übungen der Bundeswehr wesentlich beeinträchtigt würde. Selbst die ebenfalls auf Tourismus angewiesenen Randregionen Mecklenburg-Vorpommerns nördlich des Truppenübungsplatzes wären von der militärischen Nutzung negativ betroffen. Stattdessen würde eine zivile Nutzung des Truppenübungsplatzes im Falle des Verzichts der Bundeswehr allen Anrainergemeinden und auch der Stadt Wittstock zugute kommen. Der Gruppenantrag fordert daher, auf die militärische Nutzung des Truppenübungsplatzes Kyritz-Ruppiner Heide zu verzichten und die Belastungen der Menschen an den Standorten der derzeitigen Übungsplätze in Siegenburg und in Nordhorn zu verringern. Der Antrag enthält ferner die Forderung, dass sich der Bund an der Sanierung des Platzes auch bei einer nicht militärischen Nutzung beteiligt und dass das zu investierende Geld zum Teil für diese Sanierung eingesetzt wird. Herzlichen Dank.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Hermann Kues von der CDU/CSU-Fraktion.

Dr. Hermann Kues (CDU/CSU):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Nachtwei, liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen und der SPD, ich muss schon sagen:

(Steffi Lemke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das waren tolle Reden!)

Ich finde es nicht nur einigermaßen mutig, dass Sie hier einen solchen Antrag vorlegen, sondern auch unverschämt.

(Dirk Niebel [FDP]: Es war heuchlerisch!)

Ich werde Ihnen das auch begründen: Ich finde es deswegen unverschämt und heuchlerisch, weil Sie, Herr Nachtwei, zu den Menschen in Nordhorn hingegangen sind - ich sage gleich noch etwas zur SPD - und ihnen gesagt haben: Wir bauen hier die Belastungen ab. - Dasselbe haben Sie den Menschen in Wittstock gesagt. In Wirklichkeit bringen Sie beides nicht zustande. Damit machen Sie den Menschen etwas vor und das ist unverantwortlich.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt gar nicht! Sie waren noch nicht einmal bei der Veranstaltung!)

- Ich habe alles gelesen, was Sie in Nordhorn zum Besten gegeben haben. Wie Sie wissen, bin ich Abgeordneter des dortigen Wahlkreises.

(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deshalb kriegen Sie auch nicht alles mit!)

Ich werde hier so reden, dass ich es in der gleichen Form auch in Wittstock vertreten kann. Wir sind uns einig und wissen, dass wir als Abgeordnete für Gesamtdeutschland zuständig sind und die Verantwortung nicht teilen können.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich sage Ihnen jetzt einmal etwas zur Vergangenheit: Die mit Nordhorn-Range verbundenen Belastungen bestehen - das sollten Sie wissen, wenn Sie sich damit beschäftigt haben - wesentlich länger als die mit Wittstock verbundenen Belastungen, nämlich seit den 30er-Jahren.
Ich sage Ihnen von der SPD einmal etwas zu den Abläufen: 1994 gab es einen Ministerpräsidenten der SPD, der Bundeskanzler werden wollte. Er hieß Scharping. Dieser Ministerpräsident hat im Vorfeld der Wahlen in Nordhorn gesagt: Sobald ich Bundeskanzler bin, wird Nordhorn-Range geschlossen.

(Dirk Niebel [FDP]: Er ist ja nicht Bundeskanzler! Er ist ja Verteidigungsminister und nicht mehr lange!)

Er ist nicht Bundeskanzler geworden. Angesichts der jetzigen Situation sind darüber vielleicht auch Sie ganz froh. 1998 kam ein weiterer Ministerpräsident der SPD, der Schröder hieß. Er ist allerdings Bundeskanzler geworden.

(Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist auch gut so!)

Er hat den Menschen gesagt: Sobald ich Bundeskanzler bin, wird Nordhorn-Range geschlossen.

(Dirk Niebel [FDP]: Dann hat er ja gelogen!)

Es ist nicht gesagt worden: Die Belastungen werden reduziert. Es war damals schon verlogen und unehrlich. Ich finde es unanständig, mit Bürgerinitiativen in solchen Gegenden so umzugehen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der PDS - Paul Breuer [CDU/CSU]: Herr Scharping war auch in Wittstock!)

Auch als Scharping 1998 in Wittstock war, hat er gesagt: Sobald die SPD regiert, wird Wittstock geschlossen.

(Dirk Niebel [FDP]: Irgendwann muss jeder über die Lichtung!)

Das alles ist nicht wahr geworden. Ich finde, Sie müssen sich überlegen - das gilt für die SPD, das gilt aber auch für die Grünen, die immer so tun, als hätten sie enge Kontakte zu den Bürgerinitiativen; Herr Nachtwei, Sie wissen genau, was ich meine -, wie Sie mit den Gefühlen dieser Menschen umgehen. Sie spielen mit ihnen und das ist unanständig.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Das ist doch Unsinn!)

- Sie wissen genau, dass es stimmt. Herr Niebel hat schon darauf hingewiesen, dass es dort Initiativen gibt, die darauf Wert legen, dass Wittstock beibehalten wird. Die Stadt Wittstock hat sich dazu geäußert. Ich sage Ihnen noch Folgendes, Herr Schmidt - Sie kennen ja die Mehrheitsverhältnisse im Land Brandenburg -: Der Landtag Brandenburg hat sich im vorigen Jahr gegen einen Antrag ausgesprochen, der die Beendigung der militärischen Nutzung in der Kyritz-Ruppiner Heide zum Gegenstand hatte, und zwar mit den Stimmen der SPD und auch der CDU. Es ist also offenkundig, dass Sie hier ein doppeltes Spiel treiben. Das ärgert mich.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Wilhelm Schmidt [Salzgitter] [SPD]: Was haben Sie gegen Bürgerinitiativen und Gruppenanträge?)

Sie sollten den Mut haben, den Menschen reinen Wein einzuschenken. Da sich der Parlamentarische Staatssekretär, den ich persönlich sehr schätze, weil er immer sehr korrekt antwortet,

(Dirk Niebel [FDP]: Schade, dass er gar nicht redet!)

im Moment nicht äußert, will ich Ihnen mitteilen, was er über die militärische Notwendigkeit des Standortes Wittstock sagt. In einem Schreiben an den Verteidigungsausschuss vom 25. April 2001 - ich fasse das etwas zusammen - stellt der Parlamentarische Staatssekretär Kolbow fest - ich glaube, er ist für die Analyse der Position der Bundesregierung zuständig -, der Bedarf der Luftwaffe an dem Luft-Boden-Schießplatz Wittstock bestehe unverändert. Die vollständige Verlagerung ins Ausland sei nicht möglich. Übungsmöglichkeiten müssten auch in Deutschland erhalten bleiben. Aufgrund seiner Größe und Lage in vergleichsweise dünn besiedeltem Gebiet biete Wittstock hervorragende Möglichkeiten. Man wolle sich aber bemühen, die Zahl der Waffeneinsatzübungen auf den Plätzen Nordhorn und Siegenburg zu reduzieren.

(Dirk Niebel [FDP]: Warum sagt er das nicht hier?)

Vor diesem Hintergrund ist das, was Sie hier betreiben, reine Schaumschlägerei.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Ich warte nur darauf - wenn das geschehen sollte, werde ich auch etwas sagen -, dass meine Bundestagskollegin Monika Heubaum, die, glaube ich, heute nicht anwesend ist, zusammen mit anderen SPD-Abgeordneten aus Niedersachsen und mit den Grünen - die unterschreiben ja alles, was sich gegen das Militär und die Bundeswehr richtet, stimmen aber gleichzeitig für Militäreinsätze, weil sie meinen, dass das dem Regierungserhalt diene - (Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Quatsch! - Gegenruf des Abg. Eckart von Klaeden [CDU/CSU]: Das ist leider so!)

einen Antrag einbringt, in dem das genaue Gegenteil gefordert wird.

(Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Kues, Sie kennen offenbar nicht einmal den Bericht über die Luft-Boden-Einsätze!)

- Herr Nachtwei, Sie sind scheinheilig. Das wissen Sie genau. Wir werden in Nordhorn noch einmal darüber diskutieren. Ich finde das, was Sie machen, unehrlich und nicht überzeugend, weil Sie die Menschen belügen. Leider ist das wahr.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP - Dirk Niebel [FDP]: So sind die Grünen!)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Das Wort hat jetzt der Kollege Kurt Palis von der SPD-Fraktion.

(Dirk Niebel [FDP]: Nordhorn ist nur eine Flugminute vom AKW Lingen entfernt!)

Kurt Palis (SPD):
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als Abgeordneter eines Wahlkreises mit drei Truppenübungsplätzen ist mir natürlich eines geläufig: Militärische Übungen sind allzumal mit Belastungen und Belästigungen für die in der Nähe wohnende Bevölkerung verbunden.

(Dr. Hermann Kues [CDU/CSU]: Leider wahr! Das ist aber so!)

Insofern habe ich Verständnis für Menschen, die sich für die Beseitigung bzw. Verhinderung derartiger Beeinträchtigungen einsetzen. In den beiden vorliegenden Anträgen wird der Widerstand von Betroffenen aufgegriffen. Nun ist unter uns nahezu unbestritten, dass militärische Übungen sein müssen. Dies wird im Grundsatz auch von den Antragstellern anerkannt.

(Dirk Niebel [FDP]: Selbst die NVA hat geübt!)

Wenn aber tatsächlich auf die militärische Nutzung der strittigen Orte bei Wittstock und Viernheim - darauf zielen beide Anträgen ab - völlig verzichtet werden soll, müssen meines Erachtens zwei Bedingungen unbedingt erfüllt sein. Erste Bedingung: Die Nutzung bzw. die geplante Nutzung übersteigt deutlich das Maß an Belastungen, die anderenorts zugemutet werden. Zweite Bedingung: Alternativen mit weniger Belastungen für die Menschen erscheinen realisierbar. Ob diese Voraussetzungen gegeben sind, will ich am heutigen Tag der Einbringung der beiden Anträge nicht erörtern. Ich bedauere es, dass es schon im Parlament zu heftigen Kontroversen gekommen ist; denn schließlich hat jeder hier nur drei bis fünf Minuten Redezeit. Lasst uns doch in Ruhe die Dinge erörtern! Ich komme darauf noch zurück.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Wir werden uns im Verteidigungsausschuss sorgfältig beraten müssen. Da es sich bei beiden Vorlagen um interfraktionelle Gruppenanträge handelt, werde ich mich dafür einsetzen, dass Initiatoren aus allen Parteien zu den Beratungen hinzugezogen werden, auch wenn sie keine Mitglieder des Verteidigungsausschusses sind.

(Beifall bei der SPD)

Dass dem Anliegen der Antragsteller nicht mit leichter Hand entsprochen werden kann, dürfte aber allen Interessierten bereits heute bewusst sein. Um dies in wenigen Punkten zu dokumentieren, lassen Sie mich Folgendes zu bedenken geben:
(...)
Beim Antrag zur zivilen Nutzung der Kyritz-Ruppiner Heide gilt es zu bedenken:
Erstens. Der Bedarf, Luftstreitkräfte auf hohem Stand einsatzbereit zu halten, ist angesichts des sicherheitspolitischen Engagements unseres Landes nicht zu bestreiten.
Zweitens. 70 Prozent der fliegerischen Waffenausbildung finden ohnehin im Ausland statt. Einer weiteren Verlagerung des Übungsbetriebes ins Ausland sind Grenzen gesetzt.
Drittens. Ohne die Aufteilung auf drei Luft-Boden-Schießplätze in Deutschland ist eine Entlastung der seit vielen Jahren von Fluglärm betroffenen Bevölkerung im Umland von Siegenburg und Nordhorn kaum vorstellbar.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Viertens. Die Nutzungspläne der Bundeswehr unterscheiden sich von der früheren Nutzung durch die ehemalige UdSSR sowohl quantitativ als auch qualitativ wie Tag und Nacht.

(Dirk Niebel [FDP]: Die haben sich benommen wie die Axt im Walde!)

Fünftens. Die Bevölkerung vor Ort ist gespalten; darauf hat Herr Niebel hingewiesen. Nach meiner Beobachtung bei den Besuchen dort streiten ebenso viele für die Nutzung und Stationierung von Soldaten in der Garnison Alt-Daber wie dagegen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Zuletzt, liebe Kolleginnen und Kollegen, sollten wir, da das Anhörungsverfahren der Anliegergemeinden mit dem Land Brandenburg kurz vor dem Abschluss zu stehen scheint, das Ergebnis in unsere Beratungen miteinbeziehen. Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit und betone zum Schluss: Es geht darum, die angesprochenen und noch viele andere Punkte sorgfältig zu wägen. Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP)

Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf den Drucksachen 14/7764 und 14/5876 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit einverstanden? - Das ist der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.