104. Protestwanderung
Theologe Dr. Eugen Drewermann, Paderborn
Liebe
Freundinnen und Freunde des Friedens, liebe Bürgerinnen und Bürger der
Neuruppiner Heide!
Von
ganzem Herzen danke ich Ihnen für Ihr jahrelanges Engagement gegen die Nutzung
eines schönen Teils Natur als eines Zielobjektes, wie man effizient Töten und Morden
aus großer Höhe lernt.
Ich
bin mir sicher, dass es viele regionalpolitische und rechtspolitische Argumente
gibt, das Bombodrom der Bundeswehr nicht zu übergeben. Diese Gründe, bin ich
mir genauso sicher, werden nachher von Herrn Backhaus, Herrn Platzeck und Herrn
Geulen dargelegt. Uns aber geht es heute am ersten Ostertag nicht nur darum, zu
verhindern, dass ein bestimmtes Areal in das Training des Militärs
umfunktioniert wird oder bleibt. Wir könnten das Bombodrom in Neuruppin
verhindern, um dann mitzuerleben, wie Herr Struck oder Herr Jung es in die
Lüneburger Heide verlegen. Es ist sehr wichtig, heute zu sagen, wir wollen
dieses Bombodrom nicht und wir wollen überhaupt kein Bombodrom nicht, denn wir
wollen keinen Krieg mehr und keine Kriegsvorbereitungen mehr.
Wogegen
wir hier protestieren, hat eine direkte Verbindung zur aktuellen Tagespolitik.
Man bringt uns gerade bei, dass wir Tornados brauchen über Afghanistan, um mit
Herrn Struck zu reden, damit Deutschland verteidigt wird und der zivile Aufbau
in Afghanistan nicht gefährdet würde.
Was
denn trainiert man mit den Tornados? Alle Leute, die hier stehen in meinem
Alter wissen noch aus Kindererinnerungen an den sogenannten zweiten Weltkrieg
was gemeint ist mit einem Weihnachts- oder Christbaum: Ein Bomberpilot vor dem
Pulk gibt die Markierung der Zieldaten an, auf welche dann die Bomben niedersausen.
Nur, dass es heute, sechzig Jahre später, weit furchtbarere Waffen noch sind
oder Massenvernichtungsmittel besser gesagt, als die Spreng- und die
Phosphorbomben im zweiten Weltkrieg, Druckbomben, Napalmbomben das ist das
normale Areal zum Auskoffern der killing boxes. Genau dafür sollen Deutsche
sich jetzt hergeben und Herr Struck erklärt, dass das alles noch kein Krieg
ist. Und ein Militärbischof Mixa erklärt, dass er das gerade noch eben
mittragen kann. Dies ist Beihilfe zum Mord, nichts weiter.
Vor
allem sind wir es Leid, über eine Brücke von Lügen in immer die nächste
Katastrophe hineinreiten zu lassen. Wer denn von unseren Nachrichten- und
Medienschreibern und -sprechern erinnert sich dessen noch, wie 2001 vor dem
Angriff auf die Twintowers noch im Juli in Deutschland in Bonn Amerikaner
verhandelten mit Talibanführern. Darüber nämlich, wie zwei Pipelines für Erdöl
durch Afghanistan gelegt werden sollten. Erst als sie sich dessen weigerten,
war klar, dass sie die Nächsten sein würden, die drankämen, und der Krieg war
nur der Vorwand. Mit den Angriffen vom 11. September hat Afghanistan erkennbar
nicht das mindeste zu tun. Man kann nicht gleichzeitig sagen, wir haben es zu
tun mit Steinzeitislamisten, und ihnen dann in die Schuhe schieben, sie hätten die
Technologie zur Vorbereitung der Angriffe von nine eleven. Beides ist
bescheuert, aber es hat nur eine einzige Logik: unter scheinbar humanitären
Gründen, unter scheinbar defensiv-politischen Gründen nimmt man sich das Recht,
zu machen, was man will im Zugriff auf das Erdöl.
Manchmal
fragt man sich, worin der Fortschritt der Geschichte - die Vernunft der
Geschichte - eigentlich bestehen solle. Sie können in Wittstock im Museum zum Dreißigjährigen
Krieg in deutlichem Vergleich zum Status quo heute -rechtspolitisch- den
Rückfall um fast 390 Jahre miterleben. Damals führten die Habsburger Krieg, wie
es die Amerikaner heute tun. Man beutete die damals Dritte Welt aus und
ruinierte Millionen Indios in Mittel- und Südamerika im Zugriff auf Gold und
Silber, damit man die Truppen hätte, die Soldateska im Kampf in Europa. Der
erste europäische Gesamtkrieg dreißig Jahre lang, den man zu gewinnen hoffte am
Ende, um noch besser im eigenen Gebiet Herrschaft und Macht und Geld erringen
zu können. Setzen Sie statt Gold und Silber Erdöl, Bauxit, Uran und was Sie
wollen, haben Sie einen der vier Kriegsgründe der NATO seit 1999 - Sicherung
der Ressourcen steht da – nichts weiter als „Wir nehmen uns, was wir brauchen,
denn wir haben jedes Recht im Gefälle der Macht.“
2001
erklärte Rot-Grün – Herr Schröder und Herr Fischer – die unbedingte Solidarität
mit den Vereinigten Staaten von Amerika, als wenn sie die Lügerei um den
Angriff gegen Afghanistan völkerrechtswidrig nicht gekannt hätten. Man hat 2003
genauso freigegeben die Unterstützung für den Krieg gegen den Irak über die
Drehscheibe Frankfurt. Man war nicht gegen den Krieg, man wollte lediglich mit
der Unterstützung von Friedenswilligen im Volk die nächste Wahl gewinnen. Und
wir sagen: Rot-Grün oder jetzt Rot-Schwarz – Wir werden Euch die Tour
vermasseln. Wir brauchen keine Politiker, deren Kopf auf einem Hals sitzt, der
ähnelt einem Rechtsgewinde, wie bei einem Schraubenzieher, um sich am Wein der
Macht nur gründlich zu besaufen.
Die
allerschlimmste Lüge lautet, dass wir dabei sind, gar keine Kriege mehr zu
führen, sondern im Orwellschen Neusprech nur noch humanitäre friedensstiftende
Maßnahmen ergreifen. Eindeutig ist das Töten von Menschen, nicht das Retten von
Menschen. Eindeutig ist Kriegsvorbereitung, nicht Abrüstung. Eindeutig ist
Krieg, nicht Frieden und Lüge, nicht Wahrheit und Menschlichkeit, nicht
Grausamkeit.
Man
hat uns hineingelogen in die humanitären Kriege, als Rot-Grün, als Herr Fischer
und seine Mannen uns erklärten, wir müssten Auschwitz verhindern im Kosovo. Man
präsentierte uns den Hufeisenplan, von dem jeder damals bereits wissen konnte,
dass er niemals existierte, dass die Verbrechen von Milosevic die konsequente
Antwort dessen waren, dass man die NATO zur Luftunterstützung der UCK von
Seiten der Albaner bereitstellte und in Rambouillet so verhandelte, dass kein
Serbe den Vertrag am Ende hätte unterschreiben können. Madeleine Albright
wollte ihren Krieg in Serbien, und den Schlamassel haben wir bis heute:
Vielleicht jetzt gerade müssen wir als Europäer unablässig lang das eine
Zehntel von Serben im Kosovo schützen. Nichts ist gelöst worden, indem wir
humanitäre Kriege führten. Zum ersten Mal deutsche Bomber über Belgrad! Welch
ein Albtraum, welch eine unverschämte Lügerei und welche Unerträglichkeiten!
Man
fragte 1998 Madeleine Albright, Außenministerin unter Clinton, ob ihr der Tod
von 500.000 irakischen Kindern unter fünf Jahren die Aufrechterhaltung des
US-Waffenembargos gegen den Irak wert sei. Wie glauben Sie antwortet eine
Außenministerin eines westlichen Staates auf die Ermordung von 500.000 Kindern
unter fünf Jahren? „Yes Sir“, war ihre Antwort und Punkt. Sind es nicht Kriminelle,
die uns da regieren, unverantwortliche Zyniker der Macht! Und was war, als ihr
Chef Clinton ’95 Al-Shifa bombardieren ließ, rein auf Verdacht hin, ein
Chemiewerk im Süden des Sudan mit der Unterstellung, es produziere Waffen. Es
produzierte Medikamente. Und was macht ein amerikanischer Präsident, wenn er
das einzige pharmazeutische Werk in einem Drittweltland in Grund und Boden
bombardieren lässt? Baut er es wieder auf, entschuldigt er sich, gibt er
Medizinersatzmittel bereit? Nichts von alledem! Mit der Folge, dass wieder, wir
können schätzen, Hunderttausende von Menschen krepieren an Malaria, an
Schlafkrankheit, an was Sie wollen, dass die Rinderherden dezimiert werden
durch jede Seuche. So beginnt zum Teil die Ursache für das Desaster in Darfur.
Aber wieder müssen wir humanitär eingreifen. Statt die Verbrechen vor Ort zu
benennen. Dafür wären die Medien gut, dass sie Ihre Kamera mal darauf
richteten, wie es aussieht, was sie machen.
Wir
könnten in dieser Auseinandersetzung politisch endlos weitermachen, Punkt für
Punkt abarbeiten. Wir sind gegen den Krieg aus einer einzigen Begründung: Sie
steht zur Einfahrt hierher auf dem Plakat oder dem Transparent an der Straße:
Es ist das fünfte Gebot „Du sollst nicht töten!“ Ich war gerade erschüttert,
hier in der Kirche von Fretzdorf zum ersten Mal in meinem Leben, einem Moses zu
begegnen, der unter der Last der Kanzel fast zusammenbricht und der sich
stützen muss, wie wär’ es seine letzte Krücke. Auf der Tafel der zehn Gebote
auf der steht „Du sollst nicht töten!“
Wie
schwer in unserer mörderisch wütenden Friedenspolitik ist es, daran zu
erinnern, dass „Du sollst nicht töten!“ mit Sicherheit heißt: „Du sollst nicht
mit 18 Jahren dich zwingen lassen zu trainieren, wie man am effizientesten
mordet!“
Es
gibt eine Menge wirtschaftlicher Gründe, gegen den Krieg und gegen jede
Kriegsvorbereitung zu sein. Wir in Deutschland zahlen ungefähr dreißig Milliarden
Euro nur für Rüstung jedes Jahr. Das bedeutet etwa täglich 100 Millionen Euro,
die wir verpulvern. Jeder kann sich in Neuruppin ausrechnen, was man mit 100
Millionen Euro machen könnte. Und das ist nur ein Zehntel von dem, was die
Amerikaner verschwenden: über dreihundertfünfzig Milliarden Dollar jedes Jahr
nur für Rüstung plus Zusatzhaushalte 100 Milliarden, 80 Milliarden – so what?
Allein die USA geben für Rüstung mehr aus, als die halbe Welt. Man will den
Hegemonialanspruch. Wie anders könnte es aussehen, und wir wüssten es genau als
die Russen hier abzogen und ihr Bombodrom zurückließen. Damals ’89 erklärte
Gorbatschow ein Ende aller Rüstung - Abbau des Warschauer Paktes genauso wie
der NATO, die Stalinnote 1952, der Rapazki-Plan 1956 - kein NJET von russischer
Seite, sondern NO von amerikanischer Seite! Man wollte den kalten Krieg
gewinnen. Man wollte Hegemonialansprüche für den globalisierten Kapitalismus
durchsetzen. Da stehen wir heute. Deshalb musste es eine NATO-Osterweiterung
geben unter Kohl. Und deshalb belügt man uns bis zum heutigen Tag und erklärt
das für eine Erfolgsstory. Als Bush Senior ’91 erklärte, wir haben den Kalten
Krieg gewonnen, gab es keinen deutschen Politiker, der ihm sagte, was denn der
Preis dafür war. Fünfzig Millionen Menschen, die verhungern, jedes Jahr. Das
ist der Preis für den gewonnen Kalten Krieg. Ich muss zugeben, um diesen Preis
wollte ich niemals Sieger sein. Wir hätten den ganzen Kalten Krieg über was
Besseres zu tun gehabt.
Dann
höre ich Grünenpolitiker sagen, aber wir müssen eine zuverlässige berechenbare
Außenpolitik etablieren. Wir dürfen aus der NATO gar nicht heraus. Wenn wir zur
Erkenntnis kommen, dass wir im Grunde einer kriminellen Vereinigung angehören,
nur aus wenig Wachsamkeit beim Eintritt, kommt es einem Verbrechen gleich, in
diesem Verband noch weiter zu bleiben. Der Austritt wird zur Pflicht.
Wir
haben in ganz Europa keine Feinde mehr. Und wenn die Rüstung bedeutet, die
Verwüstung der Welt - Millionen Opfer an Toten, mehr als der ganze zweite Weltkrieg
in Ostasien und Europa an Menschen gefressen hat sechs Jahre lang, im Auswurf
der Vernichtungskapazität aller großindustrialisierten Nationen - ist deutlich
in welchen Dimensionen wir heute nicht Sicherheit, sondern politischen Wahnsinn
zum Machterhalt und Machtgewinn definieren. Damit muss im PRINZIP Schluss sein.
Und
wenn all das noch diskutabel wäre, modifizierbar, differenzierbar, gibt es an
diesem Punkt nun kein Wenn und Aber mehr: Was die Kriegsvorbereitung mit den
Achtzehnjährigen auf den Kasernenplätzen überall auf Erden macht, bedeutet,
dass wir den Krieg, wie einen Kraken unsere Kultur umgeben lassen bis dass er
jeden zivilen Impetus ins Gegenteil wegsaugt. Wir führen am Ende Krieg unter
den ewigen Begriffen Gerechtigkeit, Fortschritt, Freiheit, Menschlichkeit und
was wir anrichten ist in jedem Punkt das Gegenteil: Es verbreitet sich im Kampf
gegen den Terrorismus auf diese Art der Terror. Es verbreitet sich auf diese
Art beim Fortschritt für die Demokratie Zwang und Diktatur. Es verbreitet sich
bei dieser Art der Verbreitung von Menschlichkeit Unmenschlichkeit und
Würdelosigkeit. Dies alles ist ein gegenfinaler Irrsinn, den jeder erkennen
könnte, und von dem ich möchte, dass er im Bundestag von den Linksparteien
zumindest und von denen, die noch denken können, klar und eindeutig zur Sprache
gebracht wird.
Was
denn lernt ein Achtzehnjähriger, wenn man ihn hernimmt, zum Killerprofi sich
ausbilden zu lassen? Sollten wir nicht sagen ungerührt mit Tucholsky und Karl
von Ossietzky „Soldaten sind Mörder“, denn wozu erzieht man sie, außer, dass
ihre aus dem Tierreich noch stammende Tötungshemmung durch rein mechanisiertes
Training heruntergefahren wird zur vollkommenen Empfindungslosigkeit, zu töten
auf Befehl. Das soll gelernt werden. Ich höre sagen, dass unsere Soldaten ja
weiter Bürger in Uniform bleiben. Der Krieg macht aus ihnen eine Gegenwelt,
Angehörige der Steinzeit mitten im Atomzeitalter, macht aus ihnen latente
Bestien, die nur auf den Befehl warten, wie Schläfer, sich selber von der Kette
zu lassen. Keine Armee der Welt gibt es, in der man Befehlsverweigerung aus
Gewissensgründen trainiert und lernt, wie man unmenschliche Befehle verweigert.
Nirgendwo. Ein Soldat hat zu lernen, dass er verantwortlich ist für die
Ausführung des Befehls, nicht für den Inhalt. Das wird delegiert. Wie wenig in
irgendein Rechtssystem dieses Denken passt, könnten wir Deutschen, hätten wir
Deutschen lernen sollen 1947 in Nürnberg. Damals konnten die amerikanischen
Ankläger den Nazigranden gegenüber die Frage erheben, ob sie sich denn das
selber glauben - Befehl ist Befehl?! Was denn mit ihnen los sei, man schiebt
sich einen Stahlhelm über das Gehirn und hört dann auf zu denken. Man zieht
sich eine Uniform an und gibt seine Menschlichkeit an der Garderobe zum Wallhall
einfach ab. Man schiebt sich einen Koppel um den Bauch auf dem steht „Gott mit
uns!“ und hat das Recht zu jeglichem Verbrechen. Ist nicht die Delegation der
Verantwortung an die nächsthöhere Befehl ausgebende hierarchische Ebene
unverantwortlich und unmenschlich im Kern, dann ist der Gehorsamsbegriff des
Militärs inhuman im Kern. Und dies sollten wir unseren amerikanischen
Verbündeten jenseits des Teichs genauso zurückmelden, wie sie es ’47 gesagt
haben.
Den
ganzen kalten Krieg hat man uns beibringen wollen, dass wir die
Abscheulichkeiten alle nur lernen, um sie niemals tun zu müssen. Jetzt titelt
der Spiegel im letzten Jahr: „Die Deutschen müssen lernen wie sie töten“. Wir
sagen, wir werden das niemals mehr lernen wollen. Wir wollen eine Politik, die
das nicht mehr im Programm hat, die Option des Krieges.
Nehmen
sie als Beispiel für das, was militärischer Gehorsam aus Menschen macht, nicht
nur die Experimente von Stanley Milgram aus den siebziger Jahren in Stanford
und in der Yale-Universität, nehmen sie ein kleines Interview von 1995 auf RTL:
Günter Jauch befragt den Bomberkommandanten vom 9.August 1945 über
Nagasaki. „Major Sweeney, was haben sie
gedacht, ein halbes Jahrhundert geht hin und Sie …“. Er hat nicht gefragt,
„Major Sweeney, sie haben mit eigener Hand gleich ihrem Staffelkameraden Major
Tibbets drei Tage vorher über Hiroshima mehr Mensche getötet mit eigener Hand,
als jeder in der Geschichte der Menschheit bislang. Wussten Sie, dass ein
Dutzend Jahre später noch japanische Frauen beim Gebären eines Kindes nicht
fragen, ist es ein Junge oder ein Mädchen, sondern, hat es Erbschäden oder
nicht. Dass zwanzig Jahre später in den Kliniken von Japan immer noch Menschen
strahlen, vergiftet und verseucht, sich verröcheln werden in einem Leben, das
Sie gestohlen haben.“ Major Sweeney antwortete ganz simpel: “Was soll das?
Jeder Soldat der Welt hätte dasselbe getan. Befehl ist Befehl.“ Und sein
Präsident erklärt, ich werde mich für Amerika niemals entschuldigen.
Was
macht man aus Menschen? Die US-Army hat im Moment einhunderttausend Fälle von
posttraumatischem Stress-Disorder. Von Menschen, die aus dem Ruder laufen, weil
man sie gelehrt hat, jede Grenze zu überschreiten. Wenn man einmal tötet, gibt
es kein Halten mehr. Man überschreitet die Hemmung, die, ich sage noch mal, aus
der Zeit der Wölfe und Schimpansen in uns liegen könnte. Wir hören nicht bloß
auf, Menschen zu sein, wir werden schlimmer als die Bestien, weil wir all das
was furchtbar ist, lernen mit System, mit Gefühllosigkeit, mit Zerstörung des
Mitleids, und dann kommen Menschen nach Hause, die von all dem, was sie tun
sollten oder mussten oder glaubten, man könne es ihnen abverlangen, kein Wort
mehr sagen dürfen. Ich hab eine Reihe von Feldpostbriefen aus dem so genannten
zweiten Weltkrieg von Männern gelesen, die genauso schrieben: „Frau, feiere
Weihnachten, aber was wir hier machen, kann ich dir nicht sagen. Und wenn es
zurückkommt auf Deutschland, ist es wie ein Gericht Gottes.“ Wie heilt man
Menschen, die traumatisiert wurden - nicht durch das, was man ihnen zugefügt
hat- sondern durch das, was sie anderen zufügen mussten. Es zerspaltet ihre
Seele. Es teilt sie in ganz verschiedene Marionettenpersönlichkeiten, die keine
geistige Synthese mehr finden.
Es
wäre die große Chance, dass endlich eine Generation aufsteht, die nicht mehr
durch den Schlachthof den Eintritt in die Geschichte finden muss. Und diese
Generation, hätten wir die Chance in Deutschland endlich zu bekommen. Ersparen
wir unseren Kindern und Kindeskindern den Krieg ein für allemal, sagen wir mit
Wolfgang Borchert, ganz ähnlich, wie es da steht auf der Rückseite -nicht des
Kriegerdenkmals von Fretzdorf- sondern des Kriegserinnerungsmals. Er schrieb
’47 in Basel lungenkrank und sterbend sein Vermächtnis:
Mann
an der Werkbank, wenn sie wiederkommen
und dir sagen, du sollst statt Wasserrohren und Kochgeschirren
Kanonenrohre und Handgranaten ziehen.
Mann an der Werkbank, sag nein!
Und
wenn sie kommen, Pfarrer in der Kirche
und sagen, du sollst wieder den Krieg rechtfertigen und heilig sprechen
und die Waffen segnen.
Pfarrer auf der Kanzel, sag nein!
Und
Mutter, wenn sie zu dir kommen und sagen,
du sollst gebären, Jungs für die Schützengräben, Mädchen für die Spitäler,
für den nächsten Krieg.
Mutter in der Ukraine, Mutter in Deutschland, sag nein !
Denn
wenn ihr nicht nein sagt, wird das alles noch viel schlimmer wiederkommen!!!
*****Tonbandabschrift der Rede im
Wortlaut*****