Freie Heide
in einem freien Land für eine gewaltfreie Welt
Ansprache zum Ostersonntag 2005 in Fretzdorf
Friedrich Schorlemmer
Ostern
feiern wir das Wunder des Lebens,
das aufersteht aus dem Tod und aus allem, was tot und kaputt, stumm und öde, krank und taub, traurig
und ängstlich macht. Ostern, das ist das Aufstehen aus allem, was uns niederdrückt
und Zukunft raubt.
Ostern
ist das Fest des Aufstehens und des aufgerichteten Lebens – gegen
alles, was tötet, was destruktiv oder angsteinflößend ist.
Auferstehung führt zum Aufstehen und im Aufstehen kommt die Kraft zum Aufstand für das Leben. Das erste Wort des
Auferstandenen ist: Fürchtet Euch nicht! Friede sei mit Euch!
Ganz
so wie am Anfang über dem Stall von Bethlehem zu den Hirten vom nächtlichen
Himmel gesagt und gesungen wurde: Fürchtet Euch nicht. Friede auf Erden.
Der
Himmel öffnet sich und die Erde wird hell. Es ist wie ein zweiter Schöpfungsakt.
Wir
Menschen werden aufgeweckt, weil einer auferweckt wurde. Zu diesem hat Gott
sein ewiges JA gesagt hat. Jesus blieb nicht im NEIN, nicht in der Negation. So
sagt Ostern seither zu uns: Sagt Ja! Ja zum geschenkten Leben und sagt Nein zu
allem, was tötet, was Tod vorbereitet, was unsere Welt in Sackgassen führt und
dazu führt, die Fahne des Lebens fallen zu lassen –
also
zu re-signieren.
Ihr
hier in der Bürgerinitiative „Freie Heide“ habt nicht resigniert. Ihr habt nun
schon dreizehnmal zu Ostern Euren Willen zum Leben - dem Menschen und der Natur
zugute – bekundet. Ihr seid beharrlich geblieben für dieses gebeutelte Stückchen
Erde.
Diesen
Landstrich endlich und endgültig in Frieden lassen.
Aber
8500 Tiefflüge sollen hier jährlich stattfinden - markerschütterndes Gedröhn
der Stahlvögel über einer friedlichen Landschaft .
(Vor
etwa 30 Jahren wurden meine Kinder beim Urlaub in Flecken Zechlin wieder zu
Bettnässern. Jetzt ist mein Sohn selbst mit seinen Kindern hier).
Wozu, Minister Peter Struck? Fahren Sie in
Frieden Motorrad und lassen Sie es sein mit den Tiefflügen hier. Kümmern Sie
sich um die Tiefflieger in Ihrer unmittelbaren Umgebung.
Suchen
Sie andere Horizonte als die, auch überall in der Welt mit Präzisionswaffen
anwesend sein zu wollen. Und wenn sich das Bundesverteidigungsministerium oder
der Bundestag über das Votum der Länder und der hier lebenden Menschen
hinwegsetzen wollten, müsste es schon sehr gewichtige Argumente geben, soll
Demokratie nicht zu Schall und Rauch „mit Überschall“ werden.
Peter,
mach dich nicht zu schwarzen Peter! Struck, gib Dir einen Ruck und lass das
hier sein! Es sei denn, Du baust Dein eigenes Haus unter Deine Flugschneisen
hier.
Keine
Bombenabwürfe hier. Lasst das Land in Ruhe, lasst die Leute in Ruhe, lasst die
Tiere in Ruhe.
Macht 144 km² freie Heide nicht zum
großen Rumms-Feld!
Lasst
uns in Ruhe mit Euren wahnwitzigen sogenannten Verteidigungsanstrengungen.
Wofür wollt Ihr hier das Bomben üben? Wo „in aller Welt“ wollen oder sollen deutsche
Soldaten ernsthaft Bombenzielwerfen praktizieren? Wo in aller Welt – oder bei
welchen Nachbarn, an welchen fernen Hindukuschen?! Friede auf Erden statt Bomben vom Himmel!
Müsste
es Euch nicht zu denken geben, was die sogenannten Präzisionsbomben selbst der
Supermacht anrichten? Diese buchstäblich sündhaft
teuren Wunderwaffen mit ihrer hochgepriesenen Mikroelektronik trafen
ungezählte Zivilisten. Ihr tragischer Tod wird von den Verantwortlichen zynisch
zu Kollateralschäden verharmlost. Wie viele Hochzeitsgesellschaften wurden
schon mit einem „Sorry!“ ins Leid gestürzt, in Afghanistan, im Irak! Was für
Kollateralschäden habt Ihr Technokrieger verursacht, ob in Belgrad oder Bagdad,
in Falludscha oder Kandahar?
Wollen
wir Europäer ernsthaft damit gleichziehen – mit diesem Amerika auf gleicher militärischer Augenhöhe?! Das wäre in
Wahrheit ein Tiefpunkt.
Wir
sind ein freies Land mit einer freien Heide. Der Kalte Krieg, der zum heißen
hätte werden können, ist zu Ende. Die Besatzungsmacht ist abgezogen. Wir sind
ein freies Land und sollten uns nie wieder zu Vasallen machen oder selber zu Interventionsstrategen
einer sogenannten „Neuen Weltordnung“ machen lassen! Unsere Interventionen liegen nun 60 Jahre hinter uns und dürfen nie vergessen werden - anderen und uns selbst zugute - nicht
vergessen werden.
Hier
geht es nicht bloß um ein kleines Stückchen Erde, hier geht es nicht um etwas Provinzielles,
sondern um etwas Prinzipielles!
Ein
freies Land mit einer freien Heide - auch frei vom Lärm und frei von der
Verwüstung soll es bleiben. Frei für Hasen, Rehe und Radfahrer. Frei vom
ohrenbetäubenden Gedröhn, aber offen für das Schreien der Gänse und der Gesang
der Lerchen. Und die Flügel der Vögel am Himmel sollen nicht aus Stahl, sondern
aus Federn sein.
Militärs
tun so etwas immer als Romantik ab, weil sie in sich den Sinn für die Poesie
längst getötet haben. Besonders Männer mit einfach gestrickten Gut-Böse-Mustern
im Kopf finden ihre martialischen Selbstinszenierungen nicht lächerlich – w. z.
B. der in der Verkleidung eines Bomberpiloten auftrumpfende George W. Bush auf
dem Flugzeugträger Abraham Lincoln.
Militärische
Logik ist die Logik des Sieges über Menschen, die man verallgemeinernd Feinde nennt und deren
effizientes Töten sodann zum höchsten Ziel wird. Militärische Logik ist die
Logik des Todes, Logik des Tötens und die Logik des Sieges über andere.
Die Logik des Friedens ist die Logik
ziviler Lösungen, die Leben lässt und
Leben schafft, die Konflikte mit aller Kraft und mit allem Mut zum Leben angeht.
Peacemaker, Friedensmacher sind keine
Stubenhocker, keine Helden des feigen Rückzugs, sondern Menschen, die die Tapferkeit der Zivilität einüben,
Leute, die nicht einfach über den
Feind zu gewinnen versuchen, sondern den
Feind zu gewinnen versuchen. Sie wollen
rechtzeitig die die Ursachen ausräumen, statt im Nachhinein den Schutt
wegzuräumen.
(Dabei gibt es Ausnahmen, wo nur noch
militärischer Schutz vor verbrecherischen Banden schützen kann und sollte, wie
in Ruanda oder Darfuhr. Und der Völkerkampf gegen Hitler-Deutschland ließ auch
nicht mit Friedensfähnchen führen. )
Eines
haben die Kriege nach dem großen Krieg, den wir Deutschen angezettelt haben
gezeigt: Probleme auf der Erde lassen sich vom Himmel aus nicht mit Bombenregen
lösen. Von oben herab lassen sich die Probleme derer, die ganz unten sind,
sowieso nicht lösen. Nicht mit der Arroganz der Luftüberlegenheit von Piloten,
die nicht sehen müssen, was sie anrichten.
Wer
Ostern feiert, steht auf gegen alle Schock-
and- Awe-Strategien und steht aud für alle Peace-and-Joy-Aktionen. Also: gegen
Angst und Schrecken, für Frieden und Freude. Uns allen sollte die
Remilitarisierung der Führungsmacht der westlichen Welt nach innen und außen
mindestens genauso besorgt machen wie der schreckliche Terrorismus, der als
„New War“ für den unilateralen globalen Interventionismus herhalten muss.
Amerika mit seinem Präsidenten und seiner Umgebung aus Cheney, Rumsfeld und Wolfowitz ist auf dem Irrweg und
führt die Welt nicht zu mehr Sicherheit, sondern in eine neue Runde der Aufrüstung.
Wir sind es unseren Freunden geradezu schuldig, alles uns Mögliche zu tun, sie
als starke, aber gleichverpflichtete Partner in eine auf Recht gegründete
Weltgesellschaft zurückzuholen.
Und
so ist unser kleiner Kampf hier um die Wittstocker Heide zugleich ein Kampf
gegen den Irrsinn von SDI, NMD oder MAEDS. Jeder Schritt von uns in dieser
Heide ist ein symbolischer Schritt für die Bewahrung des Lebens auf der Erde.
Die
Irrsinnslogik des Militärischen ist
alt. Sie durchzieht die ganze Menschheit. Die Ideologen des Status Quo
nennen jedes Aufstehen dagegen unrealistisch, blauäugig, träumerisch. Sie sind
die Realisten der Macht, ihrer angemaßten Macht über Leben und Tod.
Eine
Welt von Ostern her ist die Gegenwelt, ist die Widerstandswelt gegen den Tod und die Logik des Todes und des
Tötens. Nicht der Krieg ist der Vater
aller Dinge, sondern der Frieden die Mutter allen Lebens.
700
v.u.Z. warnt der Prophet Jesaja sein Volk vor der militärischen Logik,
erkennend, wie schnell Menschen sich in den Rausch dieser Logik verfallen und
erst zur Umkehr kommen wenn alles zu spät ist. ( Denken wir an Grosny, die
Schreckliche.)
Und
erinnern wir uns, in diesen Tagen, da in Deutschland besonders der Zerstörung
unserer Städte vom Himmel herab, der präzisen Vernichtung der wunderbaren
deutschen Kulturstädte gedacht wird, ob Hamburgs, Würzburgs, Dresdens, oder Rostocks - ausgelöst freilich
durch unsere Geschwader unter Göring - mit Mölders, Udeth, Steidl u.u.u.
- in Warschau, in Rotterdam, in Coventry
und London. Barbarisch das eine, barbarisch das andere. Nur: wir waren die Auslöser.
Wer
hier in der Heide gegen das Bombodrom kämpft, kämpft
also zugleich gegen jede Wiederholung, gegen solches mögliche Bomben aus der
Luft gegen „die Feinde“, in der Nähe, in der Ferne.
Patriot ist,
wer alles dafür tut, Krieg von seinem Vaterland abzuwenden und den Krieg gegen
andere Vaterländer zu verhindern.
Patriot ist, wer sich stets aller
patriotisch-militärischen Stimmung verweigert, die im Konfliktfalle stets zu bedrohlichen
Gleichschaltung des Denkens und Fühlens
ausartet - eben auch in freien Nationen.
Der Prophet Jesaja warnte vor allen, die
nicht sehen wollen und obwohl sie
sehen können, die nur hören wollen,
was angenehm ist, all das schauen, was das Herz begehrt (Jesaja 30 Vers 10).
Statt
sich von innen her auf Frieden
vorzubereiten und mit innerster Kraft auf Frieden hinzuwirken und zu hoffen,
sagen sie: „Nein, sondern auf Rossen wollen wir dahinfliegen „ - da prophezeit ihnen der Prophet: darum werdet ihr dahinfliehen.
Da
sie sagen: „ Und auf Rennern wollen
wir reiten“ prophezeit er ihnen:– darum
werden euch eure Verfolger `überrrennen.
Unvergesslich
auch die Mahnungen Bert Brechts in seinem Kinderlied:
Bomber sollt man nicht kennen / Häuser sollen nicht
brennen / Die Nacht soll für den Schlaf sein / Leben soll keine Straf sein / Die Jungen sollens erreichen / Die
Alten desgleichen. Also:
Ziehet nun in neue Kriege nicht Ihr Armen, alsob die
Alten nicht gelanget hätten.
Und
ich füge hinzu: Bereitet Euch nicht auf den globalen Krieg vor und darauf, dass
Eure Söhne, Brüder und Freunde weltweit eingesetzt werden, sondern bereitet
Euch auf den Frieden vor und tut alles, was ihm dient.
Das kann wohl nur mit einer stärker gemachten
UNO geschehen, die dort auch Gewalt anwenden kann und muss, wo schreckliche
Gewalt nicht anders eingedämmt werden kann – aber bitteschön auch dort, wo keine strategischen oder Ölinteressen
vorliegen. Alles andere ist grundverlogen und unterhöhlt mit
Glaubwürdigkeitsverlust die Substanz des freiheitlich- demokratischen Systems.
Schließlich,
liebe Osterspaziergänger am Ostersonntag, erinnere ich an ein Plakat, das wir
1987 zum Olof-Palme-Friedensmarsch getragen hatten und das uns damals entrissen wurde:
„Für die Entmilitarisierung der Wälder,
des Himmels und des Denkens“.
Es
geht auch heute wieder um die Entmilitarisierung unseres Denkens - im Geiste
von Ostern, also im Aufstehen für das
Leben, im Aufstand gegen den Tod,
gegen alles, was tötet, Tod vorbereitet und Tod verbreitet.
Wer Frieden machen will, muss selber friedfertig sein , will er Durchhaltekraft
und Glaubwürdigkeit behalten.
Friede wird nur, sofern auch unsere Wege
„Friede“ heißen.
Deshalb
zum Schluß einige Merksätze für „
Menschen des Friedens“ – zum täglichen Gebrauch:
-
Friede beginnt in dir, mit dir, zwischen dir
und den anderen: deinen Feinden und
deinen Freunden.
-
Mit allem deinem Tun und
Unterlassen versuche so zu leben, dass
auch andere Menschen würdig leben können. Neben dir, fern von dir, nach dir.
-
Suche Menschen, die du verstehst und von denen du verstanden wirst.
Dort findest du Heimat.
-
Suche Kontakt zu denen,
die dir fremd oder feind sind. Vermeide alle Abwertungen und lerne alle achten,
weil du doch weißt, dass die Würde des Menschen unantastbar sein muss – dir und
allen zugute.
-
Wo du selber deine Angst
überwindest, musst du anderen keine Angst mehr machen.
-
Inmitten der Gewalt -Welt
suche beharrlich kluge Alternativen zum
Gegenschlag. Dazu brauchst du viel Mut, der dir zuwächst, wo du dich traust und wirklich etwas wagst.
-
An dir selbst wirst du
Spannungen, Konflikte, Widersprüche spüren. Sieh zu, dass du sie nicht weiter auf andere überträgst. Trainiere
deshalb die Tapferkeit vor dem Freund, die Courage im zivilen Leben – mit dem
Wagnis, auch allein zu stehen.
-
Wo du aufrecht lebst und
vor dir selbst bestehen kannst, deine Niederlangen und deine Schuld einzugestehen
lernst, wirst du dich stark fühlen und deinen Weg aufrecht gehen - voll Vertrauen,
ohne Hochmut.
-
Deine Fähigkeiten und
Kräfte setze für eine Gesellschaft ein, in der der Mensch dem Menschen ein
Helfer wird.
-
Je friedfertiger du bist,
desto besser gelingt es dir, Frieden zu stiften. Der kleine Frieden ist auf den
großen aus und der große Frieden braucht den kleinen. Der Friede braucht dich.
-
Laß dich - mitten in der
Welt zerstörerischer Überlegenheitslogiken
und alltäglich zermürbender Konkurrenzen
- zur Vernunft des Friedens bringen.
Freie
Heide für freie Menschen in einer freien Welt!