Ostermarsch 2002 in Fretzdorf

Rede Dr. Wolfgang Ullmann

(Tonbandmitschnitt der Veranstaltung)

 

Liebe Mitwanderer und liebe Mitwandererinnen!

 

Ich fange gleich mit einem Wort an, dass ja hier eine gewisse Rolle gespielt hat. Die Erfinder der ganzen Geschichte legten großen Wert darauf, dass das Ganze „Osterspaziergang“ bzw. „Osterwanderung“ heiße. Und ich kann da auch die Gründe, die ja heute schon einmal angeklungen sind bei meinen Vorrednern, gut nachvollziehen. „Ostermarsch“, das erinnert ja eben doch etwas an Gleichschritt und Marschtritt und Formation und  es ist viel besser Spazieren zu gehen, aber man kann ja auch bei einem Spaziergang auch wichtige Entschlüsse fassen. Und liebe Freundinnen und Freunde, Osterspaziergang haben wir heute gemacht, aber wir sollten ihn nicht gemacht  haben, ohne auf diesem Spaziergang Entschlüsse zu fassen. Und was wir hier tun in einem größerem Zusammenhang einzuordnen und mit einer ganz bestimmten Zuspitzung, was das Ziel anbelangt, zu versehen. Insofern sollten wir ganz offen sein, denen, die irgend woanders in unserem Lande oder in anderen Ländern Ostermärsche durchführen, zu sagen:

Ja, wir spazieren hier in der FREIenHEIDe , aber wir haben ein Ziel, dass mit dem eueren zusammen hängt. Es geht nämlich darum, wenn ich von einer Entscheidung gesprochen habe, dafür zu entscheiden, dass in der augenblicklichen Situation aus Osterspaziergängen und Ostermärschen eine ganz klare und entschiedene und in der Öffentlichkeit hörbare und merkbare außerparlamentarische Opposition gegen die Neuauflage der weltweiten Kriegspolitik zustande kommt. (Anhaltender Applaus!)

Es ist eine Neuauflage, einer veralteten Politik, und darum haben wir Gründe, die wir hier eine Tradition im Widerstand zu leisten haben, darauf hinzuweisen, dass wir das sehr wohl erkennen, dass das eine Neuauflage einer alten und einer veralteten Politik ist. Aber aus eben diesem Grunde ist es auch nötig ein mal nachzudenken, was denn Osterspaziergänge, unter Umständen eben auch Ostermärsche und eine sich Ostern versammelnde außerparlamentarische Opposition die Kriegspolitik mit Ostern zu tun hat. Sie hat eben etwas damit zu tun, denn auch Ostern ging es um eine Bewegung. Das waren freilich ganz wenige Leute. Es waren sogar nur Frauen. Und diese Frauen hatten allen Grund, dass was sie vorhatten, es war auch eine Bewegung, kein Marsch, und es war auch kein Spaziergang, was sie vorhatten, nicht am helllichten Tage, sondern in der Morgendämmerung zu beginnen. Was wollten sie denn? Sie wollten jemanden ehren, der in einem Verfahren an die damals herrschende einzige Weltgroßmacht ausgeliefert worden war, zu dem Zweck, dass er auf die schändlichste und entwürdigendste Weise hingerichtet würde. In einem Verfahren in dem zwei notorische Terroristen gleichzeitig freigesprochen worden waren. So, und nun machten sie sich auf den Weg. Und das war eben ein politischer Weg, weil derjenige, den sie ehren wollten das Opfer eines Justizmordes und zwar eines politisch bedingten Justizmordes war.

Und dann, ja da passiert nun wirklich etwas, was jetzt immer nur behauptet wird, dass damals aber wirklich eingetreten ist, sie kamen an das Grab und sie konnten feststellen, er ist wirklich umgebracht worden und die Justizmörder und die Auslieferer haben in soweit Erfolg gehabt. Sie haben ihn wirklich umgebracht, aber das eben war nicht das Ende der Geschichte. Das Ende der  Geschichte ist eben nicht der Tod, ist nicht das Umbringen, sondern das Leben hat das letzte Wort. Und darum, liebe Freundinnen und Freunde lasst uns jetzt mit den Augen, die durch dieses Ereignis, nach dem wirklich Alles anders war, als es vorher war, mit den Augen

dieses Ereignisses in unsere Zeit blicken. Nicht in den blauen Himmel, wie die EKD mit ihrem merkwürdigen Plakat vorschlägt, sondern lasst uns auf die Toten blicken. Mit den Augen, mit den erschreckten und fassungslosen Augen derer, die dieses Ereignis damals gesehen haben. Lasst uns auf die Toten blicken: die Toten von Nètanya, von Jerusalem und Ramallah, die Toten von New York, aber auch an die Toten von Afghanistan, an die Toten von Èpierre und von Bern und auch an die Toten von Srebrenica, die man bis heute noch gar nicht aufgefunden hat. Und was sehen wir, wenn wir auf diese Toten blicken? Wir sehen, liebe Freundinnen und Freunde, es gibt keine guten und bösen Toten, sondern es gibt eben nur Tote. Und es gibt keine wichtigen Toten für die man alle halben Jahre eine Zelebration in einem Riesen-Stadion macht, und andere Tote, die so unwichtig sind, das man nicht einmal ihre Zahl zu kennen braucht. Diesen Unterschied gibt es nicht, wenn wir sie mit diesen Augen betrachten. (Applaus)

Wer ehrlich auf diese Toten blickt, sieht aber auch noch ganz was anderes. Er sieht, dass diese Toten samt und sonders Opfer von Selbstzerstörung geworden sind. Und ich denke, das endlich müsste man überall, auch bei den politisch Verantwortlichen, allmählich lernen, dass der Terrorismus eine Form der Selbstzerstörung ist. Die Toten auf die wir blicken sind Opfer von Selbstzerstörung. Einer Selbstzerstörung, in deren heißen Kern die Verzweiflung, die Verzweiflung tobt und lebt, die keinen Ausweg mehr sieht außer der Selbstzerstörung. Eine Verzweiflung auch dort, wo die Selbstzerstörung aufgefasst wird als Martyrium, das das Tor zum Paradiese öffnet. Aber ich glaube, ein Paradies der Selbstmörder ist nicht mal eins für diese selbst. Geschweige denn für die Opfer der terroristischen Selbstzerstörungen. Und nun frage ich Euch alle, ist es denn vorstellbar, dass mit Waffengewalt, vor allen Dingen mit der Gewalt von hochtechnologischen Waffen irgendetwas gegen die auszurichten ist, die sich selbst zerstören wollen? Ich kann mir das nicht vorstellen, dass Hochtechnologiewaffen wirksame Waffen gegen Selbstzerstörung seien sollen. Zumal diese Waffen ja selbst aus einer zerstörerischen Intelligenz herkommen. Und ich werde nie vergessen, wie ich als Mitglied einer Parlamentsdelegation des Europäischen Parlamentes Izhak Rabin gegenübergesessen habe in Jerusalem und der uns ganz offen sagte :“Meine Herren vom Europäischen Parlament (es waren wirklich nur Herren) es gibt keine Waffen gegen Selbstmordattentäter." Das sagte Izhak Rabin, der im November, wie Sie wissen, selbst Opfer eines israelischen Attentates geworden ist. Und wer gegen die Einsicht dieses Mannes glaubt ,es gebe irgendeine Waffengewalt die mit dem Terrorismus der Selbstzerstörung fertig werden könne, der wird nur erleben, was wir tag-täglich in Israel vorgeführt bekommen, das er selbst in den Mahlstrom des Fanatismus der Selbstzerstörung gerät.

Aber ist das eigentlich so etwas Neues, liebe Freundinnen und Freunde? Meine Generation weiß doch, dass  dieses, was ich jetzt eben gesagt habe 1945 die feste Überzeugung der Welt-Gemeinschaft war. Und was wir jetzt tun müssen ist nicht irgendetwas Neues, eine neue Philosophie zu erfinden, sondern nur das ernst zu nehmen, was in der Gemeinschaft der Völker längst geschehen ist. Sie hat zwei Schritte getan, um aus diesem Teufelskreis der Selbstzerstörung, gegen den keinerlei Waffen gewachsen sind herauszukommen. Den ersten Schritt hat die Weltgemeinschaft 1945 getan. Als sie der Überzeugung nach dem was in Dresden, in Hiroshima und Nagasaki geschehen war auf diesem Weg nicht weitergegangen werden kann. In einem Zeitalter von hochtechnisierten Massenvernichtungswaffen wird jeder Krieg zum Massenmord. Und es gibt da keine Prima – und keine Ultima-Ratio, die das begründen. Es gibt überhaupt keine Ratio, die das begründen könnte. (Applaus)

Und darum hat die Weltgemeinschaft gemeint 1945 aus dem Zustand des internationalen Kriegführens einen Schritt tun zu müssen in Richtung auf internationale Menschenrechte und die Durchsetzung der Menschenwürde auf globaler Ebene. Und dieser Schritt ist nicht rücknehmbar . Und uns weiszumachen das seien Utopien und undurchführbare, zwar wünschenswerte Ideale, nein das war Realpolitik. Und darum ist es undenkbar, das wir zu Renegaten unserer eigenen Überzeugungen und zu Renegaten unserer eigenen Lebenserfahrung werden.

Der zweite Schritt ist nach 1989 getan worden. Und ich denke, eines der Probleme unserer Zeit ist, dass die Tatsache dieses Schrittes überhaupt erst richtig zum Bewusstsein der Weltgesellschaft kommen muss, nämlich die Tatsache, dass wir aus dem Zustand der geteilten Welt und des Kulturkampfes zweier Supermächte , des Kapitalismus und des Sozialismus, was auch immer man darunter verstehen will, aber so hat man sich ja verstanden, dass wir aus diesem Zwiespalt, aus diesem menschenunwürdigen, menschheitsunwürdigen Zwiespalt heraustreten in das Zeitalter einer vielsprachigen Menschheitskultur.

Was sind nun die Konsequenzen, liebe Freundinnen und Freunde, für diejenigen, die diese beiden Schritte ernst nehmen als die Voraussetzung jeder vernünftigen Politik im 21. Jahr-hundert? Nun, ich beginne mal mit dem zweiten Punkt. Mit dem Heraustreten aus dem Kulturkampf  der Supermächte in die Zukunft einer vielsprachigen Menschheits- und Globalkultur. Was heißt denn das? Nun, das heißt doch, dass es unmöglich so sein kann, das eine Kultur, nämlich der Waren- und Marktfetischismus des Westens zur Weltkultur werden soll. Das ist nicht Vielsprachigkeit, sondern das ist der Monolog , einer einzelnen, dominierenden Kultur, die aber in ihrem Monolog nichts Besseres ist, als das sinnlose Gedudel eines steckengebliebenen elektronischen Tonträgers. (Applaus)

Das heißt zweitens, dass wir, gerade, und am Ostertag gibt es genügend Anlässe darauf hinzuweisen, dass wir Schluss machen müssen mit all jenen Gedanken, die tag-täglich auch in sehr renommierten Massenmedien wieder auftreten, von der sogenannten Überlegenheit des Christentums gegenüber dem Islam zu reden. Wer nur etwas Geschichte in der Schule gelernt hat, weiß, das ein solches Gerede nicht nur unwahr, sondern auch unverantwortlich ist. (Applaus)

Ich will aus gegebenem Anlass nur an eine Szene erinnern, die in einem der großen mittelhochdeutschen Dichtungen vorkommt, im Parzival Wolframs von Eschenbach. Da gibt es eine Szene, wo der junge Held Parzival, weil er den Kalender völlig vergessen hat, am Kar-Freitag in voller Ritterrüstung von einem Einsiedler angetroffen wird. Und der Einsiedler hält dem jungen Ritter eine Strafpredigt. Eine Strafpredigt, die darauf hinausläuft, ihn zu verurteilen, dass er es wagt am hochheiligen Karfreitag überhaupt in Rüstung mit dem Schwert auszureiten. So dachte man um 1220 in dem so überlegenen Christentum, das damals gerade mit Kreuzzügen gegenüber dem Islam beschäftigt war. Was tun wir denn Heute? Wir überlegenen Christen, wir bombardieren so, wie 1999 im Kosovo am Karfreitag und an Ostern und an Ostern sieht es in und um Jerusalem so aus, wie ich es vorhin geschildert habe. So sieht es bei dem angeblich so überlegenem christlichem Abendland aus. Mit diesem Dünkel müssen wir schleunigst Schluss machen. (Applaus)

Und das letzte, worauf ich zu sprechen kommen möchte aus unserem Anlass hier, das sind natürlich die Verpflichtungen, die unser eigenes Land, die Bundesrepublik Deutschland übernommen hat im Rahmen dieser beiden von der Weltgesellschaft 1945 und 1989 getanen Schritte. Sie sind doch urkundlich belegt in unserem Grundgesetz. Und im Rahmen der deutschen Vereinigung im Jahre 1990 hat sich unser Land feierlichst verpflichtet und zwar in einer Verpflichtung die sogar mit einer Strafdrohung belegt ist, nämlich im Artikel 2 des 2+4 Vertrages steht die feierliche Verpflichtung, dass von diesem Land niemals irgendwelche Kriegshandlungen ausgehen dürfen. (Applaus) Das ist die Verpflichtung, deretwegen die Weltgemeinschaft und unsere neuen europäischen Nachbarn unserer Vereinigung zugestimmt haben.

Das können wir doch nicht widerrufen.

Und zweitens, in unserem Grundgesetz steht ganz klar, dass die Bundesrepublik Deutschland Souveränitätsrechte an überstaatliche Institutionen abgeben kann im Interesse einer Friedensordnung in Europa und auf globaler Ebene. Es ist schlicht verfassungswidrig, wenn die Bundesrepublik Deutschland Souveränitätsrechte aufgibt im Rahmen von Absprachen zwischen Großmächten, die irgendwelche Machtinteressen wo auch immer vertreten. Das ist gerade nicht gemeint, das wir Souveränitätsrechte zum Zweck von kriegerischen Bündnissen aufzugeben haben. Das sollten wir endlich ernst nehmen. (Applaus)

Und damit bin ich ja beim Thema unserer heutigen Versammlung. Wir haben es doch alle gelesen was im Kosovo abgeworfen worden ist; an Clusterbomben, an Streubomben, an Uran-Bomben und das man auf dem Hintergrund dieses Wissens es jemals sollte akzeptabel finden, dass hier solches Zeug abgeworfen wird. Wer kann sich denn so etwas vorstellen? Ich jedenfalls nicht. Und ich möchte sagen, wozu haben wir denn eine friedliche Revolution gemacht  in der DDR und damit für die ganze Bundesrepublik Deutschland, zur Herstellung der deutschen demokratischen Einheit? Wozu haben wir den das getan? Doch nicht etwa, weil wir Rechtsnachfolger für herrenlos gewordene BOMBODROMe gesucht haben. (Applaus)

Sondern weil wir wie andere Völker ein freies Volk sein wollten , aber eben ein freies Volk, das auf ehemaligen BOMBODROMen spazieren gehen kann. Und wer kann mir irgendeinen Grund nennen, weswegen wir das sollten widerrufen. Also, darum soll mein Ostergruß sein:

„Lassen wir alle Furcht fallen und leben wir als Befreite und Gerettete, die genau wissen, dass das Umbringen und das Töten nicht das letzte Wort in der Geschichte der Menschheit sein darf.“ (langanhaltender Applaus)

 

f.d.R.d.A. Rainer Kühn, Chronist der BI FREIeHEIDe