111.
Protestwanderung
Geistliche Besinnung
Die Schritte, die wir heute
hier auf den Wegen durch den Sand gehen, sind Erwanderung von Zukunft. Es gibt,
Gott sei Dank, immer wieder Menschen, die vorausgehen. Die nicht davon
ausgehen, dass Künftiges, Erhofftes, Notwendiges rüberkommt wie ein als
Renner, als Kult oder ein "Muss" ausgegebenes Produkt. Es gibt
Erwanderung von Neuland, da kommt nicht jedermann mit. Wer nur über sieben
Brücken gehen will, der bleibt vor den Toren der Zukunft schon morgens müde
zurück. Wem siebenmal sieben Protestwanderungen das höchste der Gefühle sind,
den überwintern die Bomben eiskalt in ihren Arsenalen. Wer bis "auf
achtzig" mitgeht, der ist ein Mensch von langem Mut. Aber es gibt
Strategen, die sitzen ihre hinterletzten Pläne scheinbar eine Ewigkeit aus. Sie
wissen wohl, dass die friedvolle Variante von Zukunft sie bestrafen wird, wie
dieser Neujahrstag sie betraft mit unserer Anwesenheit als Bürger, die sich das
Bombige nur noch als Protest vorstellen können, als Abstimmung mit den Füßen
gegen den Missbrauch des Himmels über der Heide und gegen die Verkommenheit,
Tod und Verderben zu üben.
Den Initiatoren dieses 111. Protestmarsches sei gedankt für Entschiedenheit und Ausdauer. Allen,
die hierher gekommen sind, sei gedankt für einen gemeinsamen Jahresbeginn im
Dienste von Erwanderung und Vorwegnahme von Zukunft.
In meiner Fürbitte am
Heiligen Abend habe ich die Ermöglichung unangetasteter Menschenwürde und
Menschenliebe so konkretisiert, "dass die Arbeiter in den Waffenfabriken
Freudensprünge machen, wenn sie entlassen werden." Und "dass jungen
und alten Schlägern kein einziger Schlag in eines Menschen Gesicht gestattet
ist".
Die
wahrhaft quälende Frage an lässlich des 111. Protestmarsches für die Freie
Heide stellt sich mir so: Wie kann es sein, dass Politiker, sogenannte Bürger
in Uniform, christliche, freie und wohl auch soziale Demokraten, Genossen, in
ihrem Hinterkopf - oder ist es in ihrer Gedanken-, Mut- und Zukunftslosigkeit?
- die Version eines Bombenabwurfplatzes nicht dahin verbannen, wo sie
entstanden ist: in den kalten Krieg. Und der kalte Krieg war die Fortsetzung
des Ungeistes der Weltkriege mit anderen Mittel. Aufrüstung ist die veruntreute
Entrüstung. Das Wort Bombe bezeichnet ein "dumpfes Geräusch"
("bim, bam, bum") und hängt mit dem Wort "bummeln"
zusammen. Bomben sind verbummelte Versionen von besseren Auseinandersetzungen.
Bomben sind mit Schwarzpulver verteufelte Glocken, "Bimmeln". Wer
kommt auf so etwas? In Potsdam werden laufend "Blindgänger" aus dem
zweiten Weltkrieg mit einem Riesenaufwand entschärft. Das Wort
"Blindgänger" sollte einem in den Ohren liegen. Dieser Protestmarsch
ist "Blindgänger"prophylaxe.
Eine
"geistliche Besinnung" wurde mir für heute hier nahe gelegt. Als
Lehrer für Sozialethik hätte ich etwas aus der "Ethik der
Intervention" aufnehmen können. Als Theologe bin ich in der Bibliothek
vorstellig geworden, die "Heilige Schrift" heißt. Im Band 4 der
"Verdeutschung" von Martin Buber fand ich im Kapitel 26 der
"Gleichsprüche" folgendes Wort:
"Wie
einer, der den Verrückten spielend schleudert Brandgeschosse, Pfeile und Tod, so ein Mann, der seinen
Genossen betrog und spricht: Scherze ich nicht nur?"
Luther
hatte verdeutscht: Wie ein Unsinniger, der mit Geschoss und Pfeilen schießt
und tötet, so ist ein Mensch, der seinen Nächsten betrügt und spricht:
Ich habe nur gescherzt. (Spr. 26, 18.19)
Dieser uralte weisheitsvolle
Text bringt eine Wahrnehmung zu Wort, die Folgendes wahr nimmt: Da spielt einer
verrückt, spielt mit Waffen, spielt Krieg, spielt mit dem Leben von Menschen,
begeht Betrug an seinen Freunden und Genossen und sagt schließlich: Es war nur
ein Witz. Spaß muss sein. Man wird sich doch einmal einen Scherz erlauben
dürfen. Viele Verantwortungsträger würden diese Trias von Verrücktheit,
Kriegsspiel und Scherzartikel entrüstet zurückweisen. Und vielen nehme ich
diese Entrüstung auch ab. Aber um derentwillen sind wir ja auch nicht hier.
Ich
denke, wir sind hier, um uns dieses "Spiel" definitiv zu verbitten
und demokratisch zu entmachten: Dass das Verrückte, das Unsinnige ins Spiel
kommt. Das Unsinnige, das von der Würde des Menschseins Abgerückte sind Brandgeschosse,
Pfeile und die Einkalkulierung von zahllosen Toten. Der Regisseur Ridley
Scott, der jüngst den Film "Der Mann, der niemals lebte" drehte,
sagte in einem Interview: "Kriege zeigen, dass wir Idioten sind".
Meine Forderung ist, dass, wo Krieg einkalkuliert, geübt und gespielt wird,
auch "Idiotie" drauf steht. Krieg ist immer barbarisch. Das
Barbarische ist das, was noch nicht in einem qualifizierten Menschsein,
Menschsein mit Zukunft, angekommen ist. Der Abwurf von Bomben als Generalprobe
für den Fall der Fälle auf Hirtentäschelkraut, Acker-Rittersporn, Kohl-
Gänsedistel, - das sind Heidepflanzen - ist kein Kavaliersdelikt, das ist die
mieseste der Männersachen vom Müllhaufen der Geschichte.
Es
kann in dieser Angelegenheit zu einem Betrug unter Genossen kommen, zum
Verrat unter Freunden. Dass Genossen verschiedener Meinung sind, ist gut so.
Aber in diesem "Gleichspruch" aus der Bibel findet ein Vergehen statt
an dem kleinen ABC menschlicher Vernunft. Menschliches Vernehmen kann
Unterscheidungen treffen. Ein vernünftiger Mensch, Mensch im eigentlichen
Sinne, kann Schießen und Scherzen unterscheiden.
Stell
dir vor, einer gibt einen Schießbefehl, den Befehl zum Abwurf von Bomben. Und
es geht dem ein Irrtum voraus, eine Informationspanne oder ein Betrug unter
Genossen. Die Geschichte der Kriege ist voller Beispiele. Die Toten werden zu
Helden oder "Kollateralschäden". Und dann heißt es: Sorry. Scherz
beiseite!
Aus
der Sicht von Weisheit und unidiotischer Weltwirtschaft ist Krieg immer Irrtum,
Irrsinn, Auseinanderdividierung von Freunden und Genossen. Schießen ist der
schlechteste aller "Scherze". Wer aus Spaß an seinem PC bombt und
ballert, der spielt verrückt.
Zu
den schlechten Scherzen der Bombenkerle zählt, dass Georgien zum Nordatlantik
gehört, dass Selbstmordattentate etwas anderes seien als Verbrechen, dass
Heidelandschaften die Stille und der naturnahe Frieden nicht zu gönnen sei,
dass irgendeine Häme über die Freunde des Friedens, die Neujahr auf die Straße
gehen, witzig wäre.
Das
Ferment der Friedensbewegung ist Ausdauer und unverrückbare Gewissheit, die
Zukunft vorweg zu nehmen, die um Gottes und der Menschen, der Pflanzen und
Tiere willen kommen will und soll. Und kommen wird.