111. Protestwanderung

 

Schweinrich Neujahr 2009

 

Geistliche Besinnung

Prof. Frieder Burkhardt, Langerwisch

 

 

Die Schritte, die wir heute hier auf den Wegen durch den Sand gehen, sind Erwanderung von Zukunft. Es gibt, Gott sei Dank, immer wieder Menschen, die vorausgehen. Die nicht davon ausgehen, dass Künftiges, Erhofftes, Notwendiges rüberkommt wie ein als Renner, als Kult oder ein "Muss" ausgegebenes Produkt. Es gibt Erwanderung von Neuland, da kommt nicht jedermann mit. Wer nur über sieben Brücken gehen will, der bleibt vor den Toren der Zukunft schon morgens müde zurück. Wem siebenmal sieben Protestwanderungen das höchste der Gefühle sind, den überwintern die Bomben eiskalt in ihren Arsenalen. Wer bis "auf achtzig" mitgeht, der ist ein Mensch von langem Mut. Aber es gibt Strategen, die sitzen ihre hinterletzten Pläne scheinbar eine Ewigkeit aus. Sie wissen wohl, dass die friedvolle Variante von Zukunft sie bestrafen wird, wie dieser Neujahrstag sie betraft mit unserer Anwesenheit als Bürger, die sich das Bombige nur noch als Protest vorstellen können, als Abstimmung mit den Füßen gegen den Missbrauch des Himmels über der Heide und gegen die Verkommenheit, Tod und Verderben zu üben.

 

Den Initiatoren dieses 111. Protestmarsches sei gedankt für Entschiedenheit und Ausdauer. Allen, die hierher gekommen sind, sei gedankt für einen gemeinsamen Jahresbeginn im Dienste von Erwanderung und Vorwegnahme von Zukunft.

In meiner Fürbitte am Heiligen Abend habe ich die Ermöglichung unangetasteter Menschenwürde und Menschenliebe so konkretisiert, "dass die Arbeiter in den Waffenfabriken Freudensprünge machen, wenn sie entlassen werden." Und "dass jungen und alten Schlägern kein einziger Schlag in eines Menschen Gesicht gestattet ist".

Die wahrhaft quälende Frage an lässlich des 111. Protestmarsches für die Freie Heide stellt sich mir so: Wie kann es sein, dass Politiker, sogenannte Bürger in Uniform, christliche, freie und wohl auch soziale Demokraten, Genossen, in ihrem Hinterkopf - oder ist es in ihrer Gedanken-, Mut- und Zukunftslosigkeit? - die Version eines Bombenabwurfplatzes nicht dahin verbannen, wo sie entstanden ist: in den kalten Krieg. Und der kalte Krieg war die Fortsetzung des Ungeistes der Weltkriege mit anderen Mittel. Aufrüstung ist die veruntreute Entrüstung. Das Wort Bombe bezeichnet ein "dumpfes Geräusch" ("bim, bam, bum") und hängt mit dem Wort "bummeln" zusammen. Bomben sind verbummelte Versionen von besseren Auseinandersetzungen. Bomben sind mit Schwarzpulver verteufelte Glocken, "Bimmeln". Wer kommt auf so etwas? In Potsdam werden laufend "Blindgänger" aus dem zweiten Weltkrieg mit einem Riesenaufwand entschärft. Das Wort "Blindgänger" sollte einem in den Ohren liegen. Dieser Protestmarsch ist "Blindgänger"prophylaxe.

Eine "geistliche Besinnung" wurde mir für heute hier nahe gelegt. Als Lehrer für Sozialethik hätte ich etwas aus der "Ethik der Intervention" aufnehmen können. Als Theologe bin ich in der Bibliothek vorstellig geworden, die "Heilige Schrift" heißt. Im Band 4 der "Verdeutschung" von Martin Buber fand ich im Kapitel 26 der "Gleichsprüche" folgendes Wort:

"Wie einer, der den Verrückten spielend schleudert Brandgeschosse, Pfeile und Tod, so ein Mann, der seinen Genossen betrog und spricht: Scherze ich nicht nur?"

Luther hatte verdeutscht: Wie ein Unsinniger, der mit Geschoss und Pfeilen schießt und tötet, so ist ein Mensch, der seinen Nächsten betrügt und spricht: Ich habe nur gescherzt. (Spr. 26, 18.19)

Dieser uralte weisheitsvolle Text bringt eine Wahrnehmung zu Wort, die Folgendes wahr nimmt: Da spielt einer verrückt, spielt mit Waffen, spielt Krieg, spielt mit dem Leben von Menschen, begeht Betrug an seinen Freunden und Genossen und sagt schließlich: Es war nur ein Witz. Spaß muss sein. Man wird sich doch einmal einen Scherz erlauben dürfen. Viele Verantwortungsträger würden diese Trias von Verrücktheit, Kriegsspiel und Scherzartikel entrüstet zurückweisen. Und vielen nehme ich diese Entrüstung auch ab. Aber um derentwillen sind wir ja auch nicht hier.

Ich denke, wir sind hier, um uns dieses "Spiel" definitiv zu verbitten und demokratisch zu entmachten: Dass das Verrückte, das Unsinnige ins Spiel kommt. Das Unsinnige, das von der Würde des Menschseins Abgerückte sind Brandgeschosse, Pfeile und die Einkalkulierung von zahllosen Toten. Der Regisseur Ridley Scott, der jüngst den Film "Der Mann, der niemals lebte" drehte, sagte in einem Interview: "Kriege zeigen, dass wir Idioten sind". Meine Forderung ist, dass, wo Krieg einkalkuliert, geübt und gespielt wird, auch "Idiotie" drauf steht. Krieg ist immer barbarisch. Das Barbarische ist das, was noch nicht in einem qualifizierten Menschsein, Menschsein mit Zukunft, angekommen ist. Der Abwurf von Bomben als Generalprobe für den Fall der Fälle auf Hirtentäschelkraut, Acker-Rittersporn, Kohl- Gänsedistel, - das sind Heidepflanzen - ist kein Kavaliersdelikt, das ist die mieseste der Männersachen vom Müllhaufen der Geschichte.

Es kann in dieser Angelegenheit zu einem Betrug unter Genossen kommen, zum Verrat unter Freunden. Dass Genossen verschiedener Meinung sind, ist gut so. Aber in diesem "Gleichspruch" aus der Bibel findet ein Vergehen statt an dem kleinen ABC menschlicher Vernunft. Menschliches Vernehmen kann Unterscheidungen treffen. Ein vernünftiger Mensch, Mensch im eigentlichen Sinne, kann Schießen und Scherzen unterscheiden.

Stell dir vor, einer gibt einen Schießbefehl, den Befehl zum Abwurf von Bomben. Und es geht dem ein Irrtum voraus, eine Informationspanne oder ein Betrug unter Genossen. Die Geschichte der Kriege ist voller Beispiele. Die Toten werden zu Helden oder "Kollateralschäden". Und dann heißt es: Sorry. Scherz beiseite!

Aus der Sicht von Weisheit und unidiotischer Weltwirtschaft ist Krieg immer Irrtum, Irrsinn, Auseinanderdividierung von Freunden und Genossen. Schießen ist der schlechteste aller "Scherze". Wer aus Spaß an seinem PC bombt und ballert, der spielt verrückt.

Zu den schlechten Scherzen der Bombenkerle zählt, dass Georgien zum Nordatlantik gehört, dass Selbstmordattentate etwas anderes seien als Verbrechen, dass Heidelandschaften die Stille und der naturnahe Frieden nicht zu gönnen sei, dass irgendeine Häme über die Freunde des Friedens, die Neujahr auf die Straße gehen, witzig wäre.

Das Ferment der Friedensbewegung ist Ausdauer und unverrückbare Gewissheit, die Zukunft vorweg zu nehmen, die um Gottes und der Menschen, der Pflanzen und Tiere willen kommen will und soll. Und kommen wird.