107.
Protestwanderung
Geistliche Besinnung
Eine geistliche Besinnung am
Neujahrstag 2008 …
… kann auf die Jahreslosung
nicht verzichten: „Ich lebe und ihr sollt auch leben!“ sagt Jesus im Johannesevangelium.
Ist doch ein schönes Wort –
oder?! Welche Vorstellungen haben wir, wenn wir leben hören? Welche
Assoziationen weckt das Wort „leben“ in uns?
„Ich lebe und ihr sollt auch
leben!“
Am liebsten wäre es uns, da
stände auch noch gleich dahinter – „und deshalb kein Bombodrom!“ Steht’s aber
leider nicht ganz so plakativ. Wäre wohl auch etwas zu schade, wenn dieser
einfache, klare Satz: „Ich lebe und ihr sollt auch leben!“ nur auf die
Verhinderung des Bombodroms gemünzt wäre.
Und wir müssen auch damit
leben, dass in irgendeiner Kaserne heute ein Militärpfarrer diese Jahreslosung
für „seine“ Soldaten auslegt und ihnen damit Hoffnung und Zuversicht zuspricht.
Sicherlich auch Bomberpiloten.
Nun ist „leben“ ein
Modewort. Was meint man denn mit „leben“? Es verdeckt womöglich mehr
Ratlosigkeit, was denn Leben sei, als es an Möglichkeiten freilegt. Vielleicht
steckt in dem Wort „leben“ mehr Sehnsucht drin als Fähigkeit, tatsächlich zu
leben. Auf jeden Fall steckt auch viel Kraft drin.
„Ich lebe und ihr sollt auch
leben!“ beschreibt ein Lebensverhältnis zwischen unterschiedlichen Personen.
„Ich lebe“ ist eine selbstbewusste Aussage, voller Kraft. Und diese Aussage hat
eine Folge, eine Konsequenz: „und ihr sollt auch leben!“. Ich - und ihr auch.
Vielleicht wird die
Besonderheit erst dann so richtig deutlich, wenn man sich andere Beschreibungen
von Lebensverhältnissen ansieht.
„Leben und leben lassen“ ist
so eine davon – hat auch etwas, ist aber relativ gleichgültig dem anderen
gegenüber. Aber wenigstens ist hier der andere akzeptiert in seinen
Lebensbedürfnissen: „leben lassen“. Da wäre man hier ja im Blick auf das
Bombodrom ja schon froh, wenn uns zugestanden wird: „leben lassen“.
Zu der Zeit, als Jesus
diesen Satz „Ich lebe und ihr sollt auch leben!“ gesagt hat, da gab es nur
Gewinner oder Verlierer. In der römischen Arena konnte nur einer der
Gladiatoren gewinnen. Nur einer konnte leben – einer musste sterben. Das Volk
jubelte dem Sieger, dem Mörder zu. Man stelle sich in der Arena den Satz vor,
wie ein Gladiator zum anderen sagt: „Ich lebe und du sollst auch leben!“ Der
Kampf wäre zu ende. Der Mord findet nicht statt. Der Jubel darüber, dass Blut
fließt, verstummt. – Das machte die ersten Christen so gefährlich in einem
Staat, für den „Brot und Spiele“ die Methode war, das Volk ruhig und bei Laune
zu halten. Selber leben und das Leben des anderen zu unterstützen, das ist
revolutionär in einem System, das durch die Erniedrigung und Demütigung von
Menschen funktioniert. (Nächstenliebe ist für jedes totalitäre System eine
Gefahr).
Ein ganz anderes
Lebensverhältnis ist das der Todessehnsucht - damit haben wir in Deutschland
geschichtliche Erfahrung. „Ich sterbe und ihr sollt auch sterben!“ war Anfang
1945 sehr beliebt. Der Heroismus dieser Art kehrt im Rechtsradikalismus wieder.
Und dann gibt es auch die
Variante der Sauger: „Damit ich leben kann –müsst ihr den Gürtel enger
schnallen.“ Höchst aktuell in der Diskussion zwischen Mindestlöhnen und
Managerspitzengehältern. Wie würde sich in der aktuellen Diskussion der Satz
ausnehmen: „Ich lebe und ihr sollt auch leben.“ Das hört sich an wie der Anfang
der sozialen Marktwirtschaft – lange vor dem Wirtschaftsliberalismus.
Und natürlich gibt es all
diese Varianten auch im kleineren, im zwischenmenschlichen Bereich. Wie
Menschen miteinander umgehen, wie sie ihre Beziehungen gestalten oder ihre
Beziehungen unbewusst leben. Ist ja ein ganz eigenes Thema.
Und wahrscheinlich gibt es
auch noch ein paar Varianten mehr. Ich wollte nur zeigen, welche Kraft und
welcher womöglich Sprengstoff in diesem einfachen Satz Jesu steckt: „Ich lebe-
und ihr sollt auch leben, ihr werdet auch leben.“
Dieses Lebensverhältnis wird
also beschrieben als ein „ich bin“ und „ihr sollt auch sein“, „ich habe“ und
„ihr sollt auch haben“. Um eine Folge, um Konsequenzen geht es. Ein Haben und
Geben. Um Jesu Verantwortung geht es für die Menschen, die ihm vertrauen. Was
Jesus hat aus seiner Beziehung zu Gott, das gibt er weiter an die, die an ihn
glauben. Daraus ergeben sich zwei Kriterien für das Leben:
Es gibt kein Leben für sich
allein - also wenn wir von Leben in einem vollen, sinnvollen und erfüllten Sinn
sprechen. Leben ist kein Eigensinn – es hat immer den Nächsten, die anderen mit
im Blick. „Können die anderen auch leben?“ ist eine stetige Frage. Menschen
übernehmen füreinander Verantwortung. Man kann das Leben nicht für sich
behalten, sondern Leben ergibt sich im Austausch mit anderen.
Und das zweite: Leben ist
wahrhaftig. In dem Zusammenhang mit der Jahreslosung steht der bekannte Satz
Jesu: „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben“. Wer leben will, sollte
wahrhaftig mit sich – und anderen - umgehen. Nicht die leichteste aller
Übungen, gehört aber dazu.
Nun liegt in dem „und ihr
sollt auch leben“ ja eine Absichtserklärung. Gott will, dass wir leben. Gott
will nicht, dass wir uns opfern oder sonst was, sondern er will, dass wir
leben.
Und es liegt darin eine
Aufforderung. Tut das! Lebt! Laßt euch nicht beeinflussen oder gar beherrschen
von den Ansichten, die lebensfeindlich sind. Sucht die Lebensmöglichkeiten.
Laßt euch nicht einfangen von denen, die sagen, es hätte doch keinen Zweck. Und
auch nicht von denen, die sagen, es gäbe leider Sachzwänge. -
Und die Aufforderung
beinhaltet natürlich auch: Sorgt dafür, dass Leben möglich ist. Ihr übernehmt
damit auch Verantwortung.
Man kann das „ihr sollt
leben“ auch lesen als „ihr werdet leben“ –wenn wir von Jesus lernen, von
seiner Gottesbeziehung und von seiner Menschenbeziehung.
„Ich lebe und ihr sollt auch
leben!“ das ist ein Geschenk Gottes an uns!
Und das Bombodrom? Es gibt eventuell
irgendein Argument für das Bombodrom in der militärischen Logik, -
jedoch zigtausende dagegen. Nach dem, was die Jahreslosung sagt, ist jeder
Mensch, der hier in der Einflug- und Ausflugschneise lebt, ein Argument gegen
das Bombodrom.
Wie würde man ein
Lebensverhältnis beschreiben zwischen dem Bombodrom und uns, den Menschen, die
hier leben?
Das eine Argument ist ja
immer: „Es wird schon nicht so schlimm werden.“ Das ist einfach nur für dumm
verkaufen.
Etwas mehr Mühe gibt sich
eine andere Argumentation: Wir brauchen das Bombodrom für unsere
politisch-militärischen Friedens-Aufträge in aller Welt. Das Lebensverhältnis,
das so durch ein Bombodrom begründet werden würde, würde dann in etwa heißen:
„Wir fliegen – und irgendeinen trifft es nun (leider) mit den Nachteilen.“ Das
jedoch ist kein Lebensverhältnis. Das ist eine Bedrängung. Zuerst
für uns. Und dann auch für die Opfer der Einsätze.
Hier wird die Folge
umgedreht. Nochmal Jesus: „Ich lebe und ihr sollt auch leben“. Dagegen das
Verteidigungsministerium: „Damit wir fliegen können – müsst ihr leiden.“ Wer so
denkt und redet, setzt Duckmäusertum voraus – oder einen seltsamen Heroismus,
der sich in sein Leiden ergibt.
Hier zu fliegen, das ist für
die Flieger - und alle, die sie schicken, vielleicht eine Art Freiheit. Es ist
aber ein Leben auf Kosten anderer. Und ein Leben auf Kosten anderer kann kein
Leben sein.
Wie einfach und klar dagegen
die Jahreslosung: „Ich lebe und ihr sollt auch leben!“
Zuspruch und Auftrag. Dafür
lasst uns sorgen!