74.Protestwanderung
1.Januar 2002
in Schweinrich
Pfarrer Traugott Kuhnt,
Alt-Ruppin
Ich begrüße Sie im Namen Gottes zu diesem
Protestmarsch am Neujahrstag 2002.
Mögen wir im Namen des Vaters und des Sohnes und des
Heiligen Geistes diese Andacht und diesen Protestweg beschreiten.
Ich bin schon vorgestellt worden, ich heiße Traugott
Kuhnt, bin Pfarrer in Alt Ruppin.
Die Fragen des Friedens und der Friedensnachfolge
beseelen mich, seit als ich als 17-Jähriger zur Musterung eingeladen worden bin
und die Totalverweigerung gewählt habe und die Hilflosigkeit der
Musterungsärzte und der Musterungsoffiziere erlebt habe bis schließlich dann
einer mit knirschenden Zähnen bekannte:
“... und der Sozialismus siegt doch !“
„Suchet den Frieden und jaget ihm nach“. So geht der Auftrag an die ersten Christen laut
1.Petrusbrief 3 Vers 11 und die christlichen Abendländer suchen die Terroristen
in Afghanistan und jagen sie in aller
Welt mit Krieg und Bomben.
Die Bundeswehr braucht diesen Truppenübungsplatz, so
klingt es uns aus dem Verteidigungsministerium zwiespältig entgegen. Nach der
Logik, gerade weil wir Alles, aber auch Alles für Frieden und Freiheit
aufbieten, müssen wir hier den Krieg üben, brauchen wir diesen Platz für den
Ernstfall.
Alle Kriegsgegner, alle Gegner von Kriegsübungen,
alle Pazifisten, alle Kritiker und Skeptiker, Warner und Mahner werden in die
Abseitsfalle von „Spinnerten“, von unrealistischen von fehlgeleiteten und
orientierungslosen Menschen geschoben. Missachtung geht aus gegen Sie. Proteste
von Friedensforschern und
Friedensverbänden finden zur Zeit kein Gehör. Die Türen sind
verschlossen.
Wer Krieg will,
kann keine
Friedensforscher und keine „FREIe-HEIDler“ gebrauchen.
Sie sind Sand im Getriebe, störender, provozierender,
die Substanz zerreibender Sand im Getriebe von Kriegsverherrlichung oder auch
nur im Getriebe von Militärnormalität.
Doch Sand gibt es in der märkischen Heide
ausreichend, wie die Militärs offensichtlich verwundert feststellen und nicht
verstehen können, wie Oberstleutnant Engel erst vor kurzem in der Zeitung
kundtat.
Ein Sandkorn hat wieder ein Rädchen im
Militärgetriebe durcheinandergebracht und dazu beglückwünschen wir uns alle.
Schilder mit der Aufschrift „Truppenübungsplatz“
stehen zu unrecht, haben hier nichts zu suchen und müssen abgeräumt werden. Der
Weg der kleinen Schritte, aber immer vorwärts, immer weiter, beharrlich,
geduldig und doch unduldsam.
Wollen wir hoffen, dass der Märkische Sand
ausreichend widerstandsfähig und zermürbend ist, auf das sich die Räder des
Militärs hier nicht mehr drehen.
Und wenn wir das für uns hier wollen, müssen wir das
auch anderen gönnen, z.B. in der Letzlinger Heide oder wo sonst immer, in
Nordhorn, darum gekämpft wird.
Und kommen zu dem Schluss, dass sich die Räder des
Militärs überhaupt nicht mehr drehen.
Dazu wird allerdings der märkische Sand allein nicht
ausreichen. Dazu braucht es sehr viel mehr, auch nicht nur Sand, sondern
vielleicht groben Kies, Feldsteine, vielleicht sogar Findlinge und
Betonpflaster.
Nein, zum ersten Satz will ich zurückkehren:
Wir spüren mit übergroßer Deutlichkeit, wie unser
Anliegen um die Beseitigung dieses Bombodroms mitten hinein in die großen
Weltkonflikte geraten ist. Und es dürfte die Vermutung nicht ganz falsch sein,
dass eine Aufwertung der Bundeswehr, wie wir sie jetzt zur Zeit erleben, ihre
Kräfte verstärkt und den Kampf für uns
schwieriger werden lässt.
Es wird uns deutlich, dass unser Kampf keine kleine
Sache ist. Keine kleine Sache, sondern mitten an den Nerv der Militärpolitik
und nun auch an den Nerv der neuen
Außenpolitik unseres Landes stößt.
Nein, eine kleine Sache ist das schon lange nicht
mehr. Wir werden uns warm anziehen müssen und fest zusammenhalten und uns nach
weiteren starken Partnern umschauen müssen.
Zwei starke Partner habe ich heute mitgebracht.
Der Eine heißt Mohandas Karamchand Gandhi und der
andere Martin Luther King.
Sie haben mit ihrem gewaltfreien Kampf gewaltige
Gegenkräfte niedergerungen und sie waren selbst nicht bereit, zu irgendeiner
Gewaltanwendung oder Gewalttat, aber sie waren bereit zum Leiden.
Und gerade dieser Punkt ist für mich eine sehr
wichtige Frage in dem, was wir tun, wie weit geht unsere Bereitschaft und wo
stehen wir?
Ich will Ihnen ein paar Texte zunächst von Gandhi
zitieren. In seiner Autobiographie „Experimente mit der Wahrheit“ schreibt er:
„Der Weg des Friedens ist der Weg der Wahrheit.
Wahrhaftigkeit ist wichtiger als Friedfertigkeit, ja die Lüge ist die Mutter
Gewalt. Ein Wahrhaftiger kann nicht lange gewalttätig bleiben; auf seiner Suche
wird er innewerden, dass er keine Gewalt nötig hat und er wird ferner
entdecken, dass er so lange er noch die kleinste Spur von Gewalttätigkeit in
sich trägt, die gesuchte Wahrheit niemals finden kann.
Es gibt kein drittes zwischen Wahrheit und
Gewaltlosigkeit einerseits und Unwahrheit und Gewalt andererseits. Vielleicht
werden wir die Kraft nie erlangen, völlig gewaltlos zu sein in Gedanken Worten
und Taten, aber wir müssen die Gewaltlosigkeit stets als unser Ziel vor Augen
haben und unermüdlich auf sie zu streben. Freiheit, ob für einen Menschen, eine
Nation oder die Welt wird in genau dem Maße erreicht, wie die Gewaltlosigkeit
fortschreitet.
Daher sollen jene, die an Gewaltlosigkeit als den
einzigen Weg zur Wahrheit glauben, das Licht der Gewaltlosigkeit hochhalten.
Damit es inmitten unserer undurchdringlichen Finsternis hell erstrahle. Die
Wahrheit einiger Weniger wird zählen, die Unwahrheit von Millionen wird dahin
sein wie Spreu im Wind.
Für Kompromisse mit der Feigheit ist hier kein Platz.
Entweder wir rüsten und bewaffnen uns, um uns zu
verteidigen und rüsten uns dabei zugleich zum Leiden, oder wir bereiten uns
ausschließlich zum Leiden vor um das Land zu verteidigen oder es von
Fremdherrschaft zu befreien. In jedem Fall ist Tapferkeit vonnöten, aber im
ersteren Fall ist persönliche Tapferkeit weniger wichtig, als im zweiten. Auch
im zweiten wird es vielleicht nie gelingen, ganz ohne Gewaltanwendung
auszukommen, doch dann wird die
Gewaltanwendung sich der Gewaltlosigkeit unterordnen und im Leben der Nationen
eine immer geringere Rolle spielen. Sollte das wahnsinnige Wettrüsten
weitergehen, so muss es zwangsläufig zu einem, in der Geschichte noch nie
dagewesenen Massensterben führen.
Obwohl die Nation (gemeint ist Indien) sich
gegenwärtig offiziell zur Gewaltlosigkeit bekennt, scheinen wir zumindest in
Gedanken und Worten auf die Gewalt zuzutreiben. Gereiztheit liegt in der Luft.
Nur unsere Schwäche hindert uns an Gewaltanwendung.
Doch was wir brauchen ist freiwilliger Gewaltverzicht
aus Stärke. Freiwilliger Gewaltverzicht aus Stärke, das erfordert Fantasie und
sorgfältige Beobachtung der Weltläufe. Wenn wir jedoch einsehen, dass
ungeachtet der scheinbaren Überlegenheit der Gewalt das Universum von der
sittlichen Gewalt regiert wird, dann müssen wir nach Gewaltlosigkeit streben
und unerschütterlich an ihre unbegrenzten Möglichkeiten glauben. Ich
wiederhole, an ihre unbegrenzten Möglichkeiten glauben.
Alle sind sich einig, dass wir 1922 unsere Sache zum
Sieg hätten führen können, wenn es gelungen wäre, den Zustand der
Gewaltlosigkeit durchzuhalten.“
Liebe Freunde!
Diese Sätze, diese Texte tragen noch jetzt, nach mehr
als 50 Jahren die unerschütterliche Kraft in sich, die in Gandhi steckte, in
der sein Mut zur Wahrheit lag.
Die Beobachtungen Gandhis machen sichtbar: Wenn
Menschen sich auf Gewaltausübung vorbereiten, dann bereiten sie sich immer
zugleich auch auf Leiden vor, auf Gewalttaten und Leiden. Sie können es gar
nicht vermeiden. Sollen sie sich doch lieber, so ist er der Ansicht, gleich auf
Leiden vorbereiten. Und nun, das Überraschende: Ja, in diesem Fall ist
persönliche Tapferkeit wichtiger, als beim Krieger. Wer Frieden will, und ihn
durch Gewaltlosigkeit anstrebt, der muss einen starken Willen und eine feste
Bereitschaft zum Leiden haben. Und Gandhi und nach ihm King haben dies ihren
Zeitgenossen zugemutet. Und überraschend unzählig viele mutige Menschen,
Männer, Frauen und Kinder haben sich bereitgefunden, diesen Weg zu gehen.
In der Nobelpreisrede von 1964 von Martin Luther King
heißt es: „Ein drittes Unheil, das unsere Welt bedroht, ist das des Krieges.
Ereignisse der jüngsten Zeit haben uns lebhaft daran erinnert, dass manche
Nation die Arsenale ihrer Massenvernichtungswaffen eher vergrößern, als verringern.
Im Gegenteil: Die Zündung einer Atombombe durch die erste „nicht-weiße“ ,
„nicht-westliche“ und sogenannte „unterentwickelte Macht“, nämlich der
Volksrepublik China eröffnet der heimtückischen Terrorisierung einer ungeheuren
Zahl von Menschen durch die stets gegenwärtige Gefahr der Vernichtung neue
Aussichten. Hat er damals schon 1964 gesehen. Die Terrorisierung einer
ungeheuren Zahl an Menschen. So ist die Neigung des Menschen, sich in einen
Krieg einzulassen, immer noch eine Tatsache, sagt er.
Aber die Weisheit, die aus Erfahrung geboren ist,
sollte uns lehren, dass der Krieg überholt ist. Deshalb erlaube ich mir Ihnen
und all denen, die diese Worte hören und einmal lesen sollten zu empfehlen, die
Philosophie und Strategie der Gewaltlosigkeit unverzüglich, unverzüglich zu
einem Gegenstand des Studiums und ernsthafter Versuche auf allen Gebieten
menschlicher Streitigkeiten zu machen, die Beziehungen zwischen den Völkern
keinesfalls ausgeschlossen.
Wir werden keine friedliche Welt errichten, wenn wir
einen Weg der Verneinung einschlagen. Es genügt nicht zu sagen: „Wir dürfen
keinen Krieg führen“. Wir müssen den Frieden lieben und Opfer für ihn bringen.
Bei beiden Männern nährt sich das unerschütterliche
Festhalten an der Gewaltlosigkeit und die Überzeugung von ihren unermesslichen
Möglichkeiten aus einem festen Glauben an Gott und seine Liebe. An den Gott des
Friedens und der Brüderlichkeit unter den Menschen, dafür ist kein Einsatz zu
hoch. Dafür ist nun wirklich kein Einsatz zu hoch, auch nicht der des eigenen
Leibes.
Was wir derzeit erleben, in den Kämpfen gegen den
Terrorismus, liebe Freunde, ist die Leidensunfähigkeit und Leidensunwilligkeit
in unseren wirtschaftlich führenden Ländern der Welt. Diese Unfähigkeit ist so
stark ausgeprägt, dass wir es lieber in Kauf nehmen, das Leid über fremde
Menschen zu bringen, andere Länder zu dominieren, als das wir selbst Leiden in
Kauf nehmen. Ein Leid, es entsteht ein Leid das mit großer Sicherheit neues
Leid und neue Gewalt und neues Unrecht und neuen Terror gebären wird.
Z.B.: Israel ist das Land mit den ausgefeiltesten
Antiterrormaßnahmen, aber es ist zugleich das Land mit den schwersten
Terroranschlägen.
(Zwischenruf
von Herrn Schirge: „Bitte abkürzen, denn draußen ist es sehr, sehr kalt und die
Leute frieren schon!“ )
Ja, gut, okay, ich komme zum Schluss!
Im Konzept der Gewaltlosigkeit geht es zu aller erst
um die Forderung an sich selbst:
1.„Gebrauche keine Gewalt!“. Ich werde keine Gewalt
einsetzen.
2. Es ist deine Aufgabe für dein Recht zu kämpfen,
entweder im Widerstand, weil das Recht gebrochen wird, oder aber, weil Gesetze
ungerecht sind.
Beides hat sich die FREIeHEIDe auf die Fahnen
geschrieben.
Und ein entscheidender Punkt:
Bereite dich darauf vor, dass du dafür Leiden in Kauf
nehmen musst.
Ungerechtigkeit gegen mich halte ich aus, aber ich
weiche nicht.
Gewalt gegen mich halte ich aus, aber ich gebe nicht
auf.
Der Wille ist stärker als die Gewalt.
Wenn die Bürgerinitiative FREIeHEIDe ihr Anliegen
durchbringen will, dann wird es Wahrscheinlich noch viel Opferbereitschaft
bedürfen, Fantasie und Aktivität um dieses Problem weiter zu führen, selbst
wenn ein entgültiger Bescheid gegen die BI ergehen sollte.
Sind wir dazu bereit ?
Prüfe ein Jeder sich
selbst !
Und dann wollen wir
zusammen stehen.
Für die Wahrheit,
für den Frieden,
für die Gerechtigkeit,
für die Liebe,
hier vor Ort.
Amen.