78.
Protestwanderung der Freien Heide
(Grenzwanderung)
15. September 2002 in Zempow
von Christiane Schulz Pfarrerin in Protzen
Liebe Wanderer und
StreiterInnen für eine Freie Heide,
seien Sie alle herzlich gegrüßt zu
dieser ersten Wanderung nach einer Dekade wirksamen Protestes für eine Freie
Heide unter freiem Himmel. Der Protest ohne Grenzen nicht nur für die freie
Heide, gegen kriegsvorbereitende Maßnahmen, gegen eine Militärlogik und für die
Würde und das Menschenrecht eines jeden Menschen wird immer dringender,
angesichts eines drohenden Flächenbrandes in und um Nahost. Lautstarker Protest
über die Ländergrenzen Europas wünsche ich mir angesichts eine völlig
entgrenzten Macht- und Interessenpolitik seitens der amerikanischen Regierung.
Nun mag man sagen, so neu ist das Verhalten amerikanischer Politik nicht- sie
haben schon immer ihre Interessen mit allen Mitteln (militärische und auch terroristische)
versucht durchzusetzen. Insofern hat der 11. September die Welt nicht
verändert, nur an ihre Wurzeln zurückgeführt. Doch ich empfinde schon einen
grundlegenden politischen Stimmungswechsel, der mir große Sorgen macht. Die
internationale Politik hat sich mit dem „Kampf gegen den Terror“ von Grund auf
verändert. Die USA beanspruchen das Recht zu entscheiden, wer sie bedroht, wann
und gegen wen sie einen Präventivkrieg geführt wird. Der Irak ist dabei ein
Präzedenzfall unter Bruch aller internationalen - ja mühsam und aus gutem Grund
errungenen Regelungen zur Vermeidung von kriegerischen Konfliktlösungen. Es
wird ein verbotener Angriffskrieg geplant.
Es ist eine tiefgreifende Verletzung
demokratisch-politischer Moral. Die Unverfrorenheit mit der alle Bemühungen zu
weltweiten Abkommen zu kommen, torpediert werden, Menschenrechte im Namen der
Freiheit außer Kraft gesetzt werden, erschüttert mich.
Mit ihrer jetzigen Politik haben sie
innerhalb eines Jahres ihr gesamtes moralisches Kapital verspielt. Von der
Zurückweisung des Den Haager internationalen Strafgerichtshofes, um die im
Ausland eingesetzten Soldaten die Debatte über den Sinn und die Rechtfertigung
von Folter, der Streit um die Behandlung der Gefangenen auf der Insel
Guantanamo ... überall wird moralisches Kapital mit vollen Händen ausgegeben.
Und die USA stehen damit nicht allein. Erst kürzlich beschloss die EU, von der
Öffentlichkeit kaum bemerkt, eine gesamteuropäische Grenzpolizei einzurichten,
um das Territorium der Union zu schützen vor sogenannten „illegalen
Einwanderern“. Ich denke, was hinter solchen Initiativen steckt, ist das
zunehmende Bewusstsein, dass sich unser gegenwärtiges Modell kapitalistischen
Wohlstands nicht universalisieren lässt. Vielleicht sind die Proteste deshalb
so zwiespältig und relativ Kleinlaut?
Die einzigen, die im Augenblick
lautstark gegen die Irakpläne protestieren - auf Regierungsebene- sind die
Bundesrepublik und Kofi Annan. Wir sollten sie bei aller Skepsis, wie weit und
wie lange dieser Protest bestand hat, kräftig unterstützen.
Alles moralische Kapital (um in der
Logik unseres Systems zu sprechen), das die USA nach der Wende, durch den
Machtverlust der kommunistischen Staaten hatte - und nicht nur in diesen
Staaten - ein Kapital, dass sich durch den 11. September noch mal erhöhte,
wurde mit rascher Hand verspielt - fehlinvestiert. Das finde ich deshalb so
bedrohlich, da in vielen Konflikten die USA Feind und Retter zugleich ist -
vgl. islamische Welt. Interessenpolitik machend, aber doch zugleich auch Garant
für Freiheit, Menschenrechte und Demokratie. Das diese Weltsicht schon immer
zwiespältig war, ist das eine, doch zugleich ist sie auch nicht völlig aus der
Luftgegriffen gewesen.
Was passiert da eigentlich?
Kennen sie den Film Star Wars Episode
II? Regisseur George Lucas erklärte in einem Interview zum Start dieses
Weltraumepos sein zentrales Anliegen: „ Wie wurde aus der friedlichen Republik
das dunkle Empire? Und parallel dazu die Fragen: Wie verwandelte sich Anakin
Skywalker in Darth Vader? Wie findet ein guter Mensch den Weg zum Bösen und wie
verkommt eine Demokratie zur Diktatur? Die unheimliche Antwort ist, dass nicht
etwa die Republik vom Empire wie von einer äußeren Macht überfallen und
vernichtet worden ist, sondern, dass sich das Empire aus der Republik
entwickelt, dass also bereits die Republik das Empire in sich enthalten hat.
Eines Tages wachen die Prinzessin Leia
und die Ihren auf und müssen mit einem mal feststellen, dass sie nicht länger
in der Republik leben und dass sie von nun an zu den Bösen gehören.“
Darin könnte auch die Gefahr liegen,
in die sich die USA mit ihrem „Krieg gegen den Terror“ begeben haben.
Zbigniev Brzezinski (einstiger
Sicherheitsberater von Jimmy Carter): sprach von „Vasallen und Tributpflichtige
im amerikanischen Protektorat West- und Mitteleuropa.“
Es macht mich sprachlos, mit welcher
Unverfrorenheit sie reine Interessenpolitik betreiben, die UN quasi diktiert
wird, wie sie zu entscheiden hat, ohne Rücksicht auf weltpolitische,
ökonomische und ökologische Folgen. Das dürfen dann andere tun - UN-
Friedenstruppen, Konzepte und Hilfe für den Aufbau z.B. in Afghanistan, in der
Entwicklungshilfe.
Und die UN- Rede des amerikanischen
Präsidenten hat dies wieder vor Augen geführt. Wer nicht mit uns ist - auf dem
Weg des Guten, der ist auf Seiten des Bösen. Begründung nicht mehr nötig.
Die hier zugrunde liegende Logik ist
die einer erzwungenen Wahl. Zur Verdeutlichung noch mal ein Beispiel aus
Hollywoodkomödien: Wenn dort ein Mädchen ihren Freund fragt: „Willst du mich heiraten?“
und daraufhin ein „Nein“! zur Antwort erhält, dann erwidert sie: „Lenk nicht
ab, gib mir endlich die richtige Antwort!“ Das Mädchen verhält sich ganz
logisch in ihrer Logik, da sie ein Ja erwartet, kann sie auch nur dieses als
ernsthafte und richtige Antwort akzeptieren. Alles andere, so auch das „Nein“,
muß sie als ernstes und unreifes Ablenkungsmanöver verstehen. Die Logik: „Du
bist ganz frei zu entscheiden, solange du dich für das Richtige entscheidest.
Das birgt die Gefahr, daß die
Demokratie selber fundamentalistisch wird, weil sie sich als einzigste
Alternative zum Fundamentalismus darstellt.
Und dann nicht mehr um sich selbst
ringt, Fehlentwicklungen nicht wahrnehmen will, verlernt in Differenzierungen
zu denken.
In der Bergpredigt sagt Jesus: „Mit
welchem Maß ihr messt, wird euch gemessen werden. Was blickst du auf den
Splitter im Auge deines Bruders, den Sparren aber in deinem Auge beachtest du
nicht? Oder wie willst du zu deinem Bruder sagen: Laß, ich will dir den
Splitter aus deinem Auge ziehen? Und da“ Der Sparren ist in deinem Auge. Du
Blender! Zieh erst den Sparren aus deinem Auge. Dann magst du hinblicken, um
den Splitter aus dem Auge deines Bruders zu ziehen.
Und so lasst uns nicht begrenzen im
grenzüberschreitendem Protest gegen die vielen Splitter und Balken und
festhalten an der Gültigkeit individueller Menschenrechte aller - egal aus
welchem Land, gegen Krieg als Mittel der Politik, für internationale Abkommen,
die mehr Gerechtigkeit für die Zweidrittelweltländer.
Denn nur Gerechtigkeit hilft, dass
„Verrückte“, die ihre Verletzungen durch Gewalt bearbeiten müssen, nicht
Handlanger finden, die sie unterstützen.
Gott bewahre uns das Vertrauen, dass
Gerechtigkeit und Frieden- weltweit sich durchsetzen werden, er gebe uns die
Geduld, nicht nachzulassen im Protest für die freie Heide und gegen Militärlogik
und schenke uns die Kraft die Splitter und Balken in Augen einander
wahrzunehmen.
In der Besinnung
wurden Gedanken von Slavoj Žižek verarbeitet. Sie sind nachzulesen in der Frankfurter
Rundschau vom 6. September 2002 unter dem Titel: » Fehlinvestition: Die Vereinigten
Staaten haben ihr moralisches Kapital verspielt. Der 11. September und die
Logik der erzwungenen Wahl: Ein Fundamentalismus der Alternativlosigkeit «.