Dr. Christiane Markert-Wizisla
(Potsdam)
Liebe
Freundinnen und Freunde der Freien Heide,
am Ende seines Lebens wird
der Erzvater Jakob gefragt: Wie alt bist du? Und Jakob antwortet: Die Zeit meiner
Wanderschaft ist hundertunddreißig Jahre wenig ist die Zeit meines Lebens und
reicht nicht heran an die Zeit meiner Väter in ihrer Wanderschaft.
Leben heißt für
Jakob also wandern.
Wenn wir
wandern, uns auf den Weg machen, dann tun wir genau das, was die Bibel sich
unter Leben vorstellt. Wandern / Wandeln und Leben sind austauschbare Begriffe.
Für die Bibel
ist das Wandern die angemessene Existenzweise von Menschen. Und auch von Gott
wird erzählt, daß Menschen Gottes Nähe erfahren, wenn sie unterwegs sind. Gott
ist einer, der mitgeht. In vielen Geschichten offenbart sich Gott und sagt: ich
bin bei Dir, wohin du auch gehst, ich. wandere mit.
So ist es nicht
vermessen, wenn wir um Gottes Segen für unsere Wanderungen bitten, wenn wir
erwarten, daß Segen auf der Freien Heide ruht.
Die Zeit meiner
Wanderschaft ist hundertunddreißig Jahre.
Die Zeit unserer
Wanderschaft ist zehn Jahre; sie reicht noch nicht heran an die Wanderschaft
des Erzvaters Jakob, aber sie hat ausgereicht für die Bildung einer Tradition.
Die Wanderungen
gehören inzwischen dazu.
Der
Neujahrspaziergang findet für mich seit Jahren hier statt und auch der
Osterspaziergang mit der Freien Heide ist zur Tradition in meiner Familie
geworden. Und so geht es vielen anderen auch, die; heute hier sind. Immer
wieder treffen wir uns, wir schaffen es gar nicht, mit allen zu reden oder auch
nur alle zu begrüßen, die wir kennen oder deren Gesichter wir wiedererkennen.
Wir beginnen die Wanderung in den alten Dorfkirchen und ahnen, daß die Vorfahren
hier bei uns sind. Sie sind bei uns mit ihren Gebeten und Liedern., mit ihrer
Freude und Trauer und mit ihrer Hoffnung, die sie in die Kirchen getragen
haben.
Wir gehen die
alten Wege bis zur Schießplatzgrenze und wir wissen, daß die Wege dahinter
weitergehen. So hat sich in den vergangenen zehn Jahren auch die Landkarte
verändert. Wie es einst gewesen ist, das können sich jetzt viele wieder
vorstellen, vor allem auch die Jüngeren.
Die Zeit meiner
Wanderschaft ist hundertunddreißig Jahre.
Mit den Wanderungen
auf dem Weg zu einer freien Heide sind wir in guter Gesellschaft.
Ein wandernder
Aramäer war mein Vater, so beginnt eines der ältesten Bekenntnisse in der
Hebräischen Bibel. Die Erväter und Mütter machen sich auf und wandern zum Land,
das Gott ihnen verheißen hat. Später wandert das Volk Israel durch die Wüste -
getrieben von der Sehnsucht nach dem Gelobten Land. Und viel später wandert der
Rabbi aus Nazareth mit seinen Jüngerinnen und Jüngern durch die Felder von
Galiläa. Indem sie wandern, verbreitet sich die Kunde vom Reich Gottes. Immer
mehr Menschen schließen sich ihnen an. Sie spüren: hier geschieht etwas
Wichtiges für mich. Sie erfahren, daß Blinden die Augen geöffnet werden, daß
Gelähmte aufstehen und losgehen, daß Taube zu hören beginnen. Sie sind dabei,
als Jesus die Friedensstifter seligpreist und den Sanftmütigen das Erdreich
verheißt.
Sie ziehen durch
die Felder von Galiläa und sie spüren, daß Gott bei ihnen ist. Sie teilen Brot
und Wein und es reicht für alle, sie träumen vom Festmahl Gottes, das so
aussehen könnte. Sie gehen mit nach Jerusalem, sie gehen vom Tod zum Leben,
ihre Trauer wandelt sich in unbändige Freude.
Später werden
sie sich als das wandernde Gottesvolk bezeichnen.
Die Zeit meiner
Wanderschaft ist hundertunddreißig Jahre.
Liebe
Freundinnen und Freunde, wir sind in guter Gesellschaft.
Allein durch die
Wanderungen hat sich schon viel verändert. Hat sich etwas gewandelt. Die Wege,
die wir gehen: Sie sind erfüllt von unserer Hoffnung, von unserem Protest, von
der Heiterkeit, von den Fußspuren der vielen verschiedenen Menschen, von
Kleinen und Großen, Zugereisten und Einheimischen, Politischen und
Unpolitischen. Sie alle sind auf den Wegen gewandert und das wird nie mehr
weggehen.
Die Zeit meiner
Wanderschaft ist hundertunddreißig Jahre.
Vielleicht
reichen 10 Jahre nicht, um zum Ziel zu gelangen: einer wirklich freien Heide.
Mit den
Wanderungen haben wir diese Wirklichkeit aber schon vorweggenommen. Von
Wanderung zu Wanderung tritt die freie Heide klarer hervor. Und das bleibt. Der
Traum von einer freien Heide hat uns in 10 Jahren verändert. Er hat eine
politische Kultur hervorgebracht, die dieser Region guttut.
Für mich als
Christin sind die Wanderungen nicht nur am Ostersonntag ein Zeichen der
Auferstehung. Auferstehung - dieser alte und fromme Begriff, bekommt einen
neuen Klang. Wir stehen auf und gehen los und wissen: der Tod wird nicht das
letzte Wort haben, nicht die Resignation, nicht die Niederlage bei Gericht und
auch nicht das militärische Gerät oder das Geld. Das letzte Wort wird Gott
haben, der bei denen ist, die wandern.
Die Zeit meiner
Wanderschaft ist hundertunddreißig Jahre.
Unsere
Wanderschaft währt 10 Jahre und wir sind in guter Gesellschaft. Amen.