73. Protestwanderung

21. Oktober 2001

 Rossow

Hermann Nehls

Leiter der DGB Bildungsstätte in Flecken Zechlin

 

Uneingeschränkte Solidarität mit allen KriegsgegnerInnen

Die Bürgerinitiative FREIe HEIDe versammelt sich heute zur 73. Protestwanderung. Sie kann stolz zurückblicken auf eine Tradition des Engagements gegen die Pläne der Bundeswehr und Bundesregierung, die Kyritz Ruppiner Heide als Tiefflugübungsgebiet zu nutzen. Sie kann auch stolz zurückblicken auf eine Tradition des Mahnens gegen kriegsvorbereitende Maßnahmen, zigfache Erklärungen für Frieden und Abrüstung in der Welt. Sie fühlt sich als Teil der Bemühungen, der Militärlogik die Würde eines jeden Menschen, sein Recht auf ein Leben ohne Krieg und Terror entgegenzusetzen. So geht es uns an, wenn jetzt bereits seit zwei Wochen eines der geschundensten Länder dieser Erde zerbombt wird. Afghanistan hatte bereits vor den Angriffen die höchste Zahl an Waisenkindern, die höchste Zahl an durch Landminen verstümmelten Menschen dieser Erde.

Die Bundesregierung unseres Landes erklärt ihre uneingeschränkte Solidarität mit der US- Regierung. Diese uneingeschränkte Solidarität wird seit dem 11. September  alle Tage postuliert, sie bestimmt jede öffentliche Verlautbarung, vor allem ein Großteil der Medien führt diese - man kann schon sagen - Kampagne zur emotionalen Einstimmung auf Militäraktionen der USA und Großbritannien, jetzt auch zur direkten Beteiligung von Bundeswehrsoldaten. Der Mechanismus, der hier einsetzt wurde sehr klar von Victor Klemperer herausgearbeitet. In seinem Buch über die Sprache des Dritten Reiches, Lingua Tertii Imperii, LTI, beschreibt Klemperer wie der Nazismus ‘in Fleisch und Blut der Menge glitt’,  über die ‘Einzelworte, die Redewendungen, die Satzformen, die er ihr in millionenfachen Wiederholungen aufzwang und die mechanisch und unbewußt übernommen wurden.’ ‘Worte können sein wie winzige Arsendosen, und nach einiger Zeit ist die Wirkung da’, so Klemperer.

 

Ich sehe, wie schwer es vielen Menschen fällt, sich der von George W. Bush formulierten Logik ‘Wer nicht für uns ist, ist gegen uns’ zu entziehen. Diese Logik beherrscht den öffentlichen Raum. Vor wenigen Tagen traf ich mit Leuten zusammen, die normalerweise kein Blatt vor den Mund nehmen, wenn es darum geht, die Interessen von Beschäftigten durchzusetzen. Wie selbstverständlich verurteilten sie das Bombardement auf Afghanistan, fügten jedoch hinzu, dass sie dies lieber im kleinen Kreis aussprächen, doch lieber nicht öffentlich!

Ein befreundeter Pfarrer wies mich in einem Gespräch zu diesem Thema auf einen Text im Alten Testament hin: Er ist überschrieben mit ‘Ahabs Krieg gegen die Aramäer. Michas Weissagung und Ahabs Untergang’ (I.Könige 22). Der König von Juda ist unruhig darüber, dass eine Stadt im fremden Besitz ist und er überlegt, ob er sie nicht dem König von Aram abnehmen solle. Ihm wir empfohlen, zuerst nach dem Wort des Herrn zu fragen. ‘Da versammelte der König von Israel Propheten, etwa vierhundert Mann, und sprach zu ihnen: Soll ich gegen Ramoth in Gilead in den Kampf ziehen, oder soll ich’ lassen? Sie sprachen: Zieh hin gegen Ramoth in Gilead; es wird dir gelingen! Der Herr wird’s in die Hand des Königs geben.’ Doch das reichte dem König noch nicht, er kannte noch einen, Micha, den Sohn Jimlas, durch den der Herr befragt werden konnte. Der König zögerte ihn zu fragen, er war ihm gram, ‘denn er weissagt nichts Gutes, sondern nur Böses. Schließlich wurde er geholt. Micha warnt vor den Folgen des Krieges. Er wird in den Kerker geworfen, der König von Israel zieht in den Krieg -  sicher nicht allein -  wird verwundet und stirbt. Die Geschichte ist voll von Nuancen, ich empfehle sehr, hier einmal nachzulesen, doch diesen Aspekt möchte ich vor allem herausstellen: Vierhundert rufen zum Krieg gegen die Aramäer auf, nur einer, Micha, warnt den König! Vierhundert rufen zum Krieg auf und einer sagt nein! Was ist in den 400 vorgegangen, dass sie sich so haben hinreißen lassen der Obrigkeit zu gefallen  und nur einer übrig bleibt, der sich nicht von der herrschenden Stimmung fangen lässt!

Die herrschende Stimmung - Brecht würde hier ergänzen ‘die Stimmung der Herrschenden’ - ist in diesen Tagen auf Militäraktionen eingestellt, allen voran unser Bundeskanzler und unser Außenminister! Hatte Fischer sich beim Bombardement des Kosovo Auschwitz als Begründung herangezogen, ruft er jetzt zum Sturz der Taliban-Regierung auf - dafür seien ‘neben humanitären Bemühungen die Bombardements notwendig.` Afghanistan soll bombardiert werden, um die Taliban-Regierung zu stürzen - was ist das für eine Denkweise. Ein Land wird zerbombt, die UN - Menschenrechtskommissarin fürchtet eine größere Massenflucht als Mitte der neunziger Jahre in Ruanda - damals waren 5 Millionen Menschen auf der Flucht, eine Hungerkatastrophe unvorstellbaren Ausmaßes steht vor der Tür - und unser Außenminister hält nichts von der Unterbrechung des Bombardements!! Damit sollen wir uneingeschränkte Solidarität üben?

 

‘Das erste Opfer eines Krieges ist die Wahrheit’ -  so einen Satz hört man in diesen Tagen in Radiosendungen. Die aktuelle Berichterstattung ist die Berichterstattung von CNN. Wir erfahren wenig über Hintergründe und Ausmaß der humanitären Katastrophe. Tagelang wurde der Weltöffenlichkeit der Zusammenbruch des World Trade Centers vor Augen geführt, der Feuerball verursacht vom Aufprall des zweiten Flugzeuges - Wo sind jetzt die Bilder der Menschen, die zu Hunderttausenden ins Elend getrieben werden ?

Ich wehre mich dagegen zu glauben, dass Afghanistan zerbombt wird, Hunderttausende, vielleicht sogar Millionen zur Flucht getrieben werden und einer Hungerkatastraphe entgegengehen, weil ein Anschlag auf ‘die amerikanische Lebensweise’ verübt wurde. Ich habe größte Zweifel an den öffentlichen Begründungen für diesen Krieg!

Es geht um die Glaubwürdigkeit von Politik! Die UCK wurde bewaffnet im Kampf gegen das Milosovic Regime, jetzt ist ein Militäreinsatz notwendig zu deren Entwaffnung, über 10 Jahre wurde das Taliban Regime finanziell und logistisch von den USA unterstützt als es gegen Russland ging. Zu der jetzt hoffierten Nordallianz muß man folgendes wissen: Im letzten Jahr wurde das Taliban Regime massiv unter Druck gesetzt, die Produktion von Rohopium einzustellen. Satelliten überwachten die Umsetzung dieser Forderung. Auf dem Gebiet der Nordallianz werden heute noch 10% des Weltmarktanteils für Opium produziert. Die Liste von Instrumentalisierungen von Ländern und Allianzen für die Durchsetzung von Machtinteressen ließe sich beliebig fortsetzen. Was die wirklichen Motive für den Afghanistan Krieg sind - es ist schwer zu beurteilen. Kein bisher gebrachtes Argument ist für mich überzeugend!

Geht es wirklich um den Sturz des Taliban Regimes? Erinnern wir uns: Vor 10 Jahren wurde Krieg gegen Saddam Hüssein geführt. Saddam Hüssein, der damals einem Hitler gleich erklärt wurde, ist auch nach zehn Jahren an der Macht. Der Krieg gegen den Irak hat hieran nichts geändert. Ich erinnere an den Kosovo-Krieg. Hier galt es, Mr. Milosovic zu stürzen - haben das Bomben erreicht? Nein, erst Massendemonstrationen im eigenen Land haben Milosovic gestürzt. Inzwischen ist erwiesen, dass die Stasi Mitglieder der RAF Unterschlupf gewährt hat, wahrscheinlich sogar logistische Unterstützung geleistet hat. Ich stelle mir vor, wenn daraufhin die Bundesrepublik erklärt hätte, den Sturz der DDR Regierung beibomben zu wollen. Nein, die DDR ist in sich zusammengebrochen wie ein Kartenhaus,  das geschah von innen!! Auch in Afghanistan gab es Versuche, den Einfluß der Taliban zurückzudrängen. Hier spielten vor allem Frauen eine wichtige Rolle. Vor kurzem berichtete auf einem Kongress von Terre des Femmes die Leiterin zahlreicher Schulen und Krankenhäuser in Afghanistan, Sima Samar, von ihrer Arbeit. Der Bau ihres ersten Krankenhauses dauerte fünf Jahre: Wieder und wieder wurde das Gebäude von Islamisten geplündert. ‘Aber ich machte trotzdem jedes Mal weiter’. ‘Der einzige Weg, die Gesellschaft in Afghanistan zu ändern, ist durch Bildung!’, so Simar Sama.      

Damit sollten wir solidarisch sein, uneingeschränkt!!

 

Wenn es wirklich um die Bekämpfung des Terrorismus geht, möchte ich an dieser Stelle an die Rede von Bundespräsident Rau vom 14. September vor dem Brandenburger Tor erinnern. Drei Tage nach dem Anschlag auf das World Trade Center und auf das Pentagon erklärte er unter anderem anläßlich der Großdemonstration vor dem Brandenburger Tor:

‘Armut und Ausbeutung, Elend und Rechtlosigkeit lassen Menschen verzweifeln. Die Missachtung religiöser Gefühle und kultureller Traditionen nimmt Menschen Hoffnung und Würde. Das verführt manche zu Gewalt und  Terror. Das sät den Hass in die Herzen von Kindern. Alle Menschen haben das Recht auf Anerkennung und Würde. (...) Entschlossenes Handeln ist das Gebot der Stunde. Weil wir das wissen und zeigen, weil wir daran keinen Zweifel lassen, darum sagen wir auch: Der beste Schutz gegen Terror, Gewalt und Krieg ist eine gerechte internationale Ordnung. Die Frucht der Gerechtigkeit wird Friede sein.    

Und weiter: ‘Wir haben apokalyptische Bilder gesehen. Sie müssen uns aufrütteln, damit Friede neuen Raum gewinnt. Die Freiheit braucht die starke Macht des Friedens und zum Frieden gehört die Freiheit.’

Kein Wort des Bundespräsidenten von ‘uneingeschränkter Solidarität’. Der Einsatz von Bundeswehrsoldaten steht bald an. Eine klare Stellungnahme des Bundespräsidenten dagegen wäre ein wichtiges Zeichen.

 

Die Mauer der ‘uneingeschränkten Solidarität’ ist nicht unüberwindbar. In New York, der Stadt, die so schwer getroffen wurde, demonstrierten über 10.000 Menschen gegen den Krieg ihrer Regierung in Afghanistan.  Vor einer Woche gingen 50.000 Menschen in Berlin gegen den Krieg auf die Straße. Über 60% der Demonstranten waren unter 20 Jahre alt! Jeden Montag finden kleine Kundgebungen in Neuruppin statt- immerhin regelmäßig mit über 150 Personen!

Und die Bürgerinitiative FREIe HEIDe? Ihr kommt in der gegenwärtigen Auseinandersetzung mehr Gewicht zu denn je. Sie kann auf Jahre des Engagements gegen eine Militärlogik verweisen und ist damit prädestiniert wie kaum eine andere Gruppe, die Stimme zu erheben, gegen Krieg und Terror, und vor allem gegen eine Stimmung des ‘Wir können sowieso nichts machen’. Und wie wir können, uneingeschränkt solidarisch mit allen Friedensinitiativen dieser Erde! Laßt uns die Rolle des Micha einnehmen!